Alpencross 2011 Tag 5

Etappe 5: Burgstall – Bozen – Auer – Grumo – Cles – Lago di Tovel
Länge: 75 km
Steigung: 750 Hm


Ich erinnere mich noch genau, wie ich 3 Stunden lang über die Fortführung meiner Alpenüberquerung gegrübelt habe. Ich war mittlerweile so weit entfernt von meiner ursprünglichen Route, dass ich weder Kartenmaterial besaß, noch große Hoffnung hatte, wieder auf den ehemals geplanten Freeride-Alpencross einschwenken zu können. Aber bekanntlich reicht ja oft ein kleiner Funke Hoffnung, um eine Lösung zu finden. Nachdem ich so lange auf meinem Navi gescrollt und gezoomt hatte, bis die Batterien leer waren, wusste ich endlich wie es weiter gehen würde!
Der originale Plan war gewesen, über das Sallentjoch in das Rabbital abzufahren, was ja wegen der Gewitterfront ausgefallen war. Von dort hätte es von Malé direkt hinauf in die Brenta gehen sollen, und über den Sasso Rosso hinunter zum Lago di Tovel. Inzwischen bezweifle ich, dass die Sasso-Rosso-Abfahrt überhaupt fahrbar gewesen wäre.

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Die Nacht über war starker Regen über Südtirol niedergegangen. Als ich am Morgen kurz nach einem Regenschauer meine Sachen packte und losfuhr, dachte ich schon ich würde den Tag halbwegs trocken überstehen. Falsch gedacht! Schon nach kurzer Zeit setzte ein extremer Starkregen ein, der nicht mehr aufhören wollte. Dicke Tropfen prasselten pausenlos auf mich nieder, als ich zügig dem Radweg entlang der Etsch durch unzählige Apfelplantagen nach Süden folgte. Mein Ziel war ein Ort namens Grumo bei Mezzocorona, von wo aus ich die Bahn zurück nach Cles nehmen wollte und dann meine Tour durch die Brenta fast wie geplant fortsetzen konnte.

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Die über 50 km bis Grumo habe ich nur mit einer kurzen Pause und bei andauerndem Regen zügig zurückgelegt. Fahrradfahrer traf ich fast überhaupt keine. Nur kurz hinter Bozen begegnete ich einer in Regenbekleidung verpackten Tourenradlerin. Wir grinsten uns im Vorbeifahren gegenseitig an und wussten genau: hier treffen zwei Gestörte aufeinander. Leider war ich nicht in der Stimmung gewesen anzuhalten. Das hätte bestimmt ein interessantes Gespräch ergeben! Ich war längst bis auf die Haut durchnässt, was bei Temperaturen um die 20°C jedoch nicht allzu schlimm war. Meine Bergschuhe waren tatsächlich wasserdicht: das Wasser lief oben hinein und konnte nicht mehr heraus. Bei Grumo klarte es dann plötzlich auf und der Regen hatte ein Ende. Ich machte mich auf zum Bahnhof, entleerte meine Schuhe und hängte meine Kleidung zum Trocknen auf. Das Trocknen gelang in der halben Stunde, bis der Zug kam, nicht wirklich. Die Bahn war überraschenderweise sehr modern und sogar mit Niederflurwagen ausgestattet, extra für die Mitnahme von Rollstuhlfahrern und Leuten wie mich – Fahrradfahrern.

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In Cles angekommen hinterließ ich in der Bahn nichts als einen großen dunklen Wasserfleck auf meinem Sitz. Ich befand ich mich nun wieder an der Nordspitze der Brenta. Es hätte sicher auch elegantere Lösungen gegeben, doch mangels Kartenmaterial waren bessere Recherchen unmöglich gewesen. Ich folgte der Landstraße bis Tuenno und bog dann in das Val di Tovel ein.

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Ich befand mich nun wieder einmal im Brenta Nationalpark. Ein Hinweisschild informierte über die Beschränkungen im Autoverkehr und die Parkplatzgebühren weiter oben. Mit vollem Energiespeicher nahm ich die steile Asphaltstraße in Angriff, die sich durch das wildromantische Toveltal hinaufzog. Dafür, dass es sich um ein Naturschutzgebiet handelt, fuhren doch überraschend viele Autos an mir vorbei. Mir war klar, dass die Italiener auf jeden Berg so weit es geht mit dem Auto hinauffahren, sofern es nicht physisch verhindert wird. Dennoch habe ich nicht damit gerechnet, hier im Nationalpark einen solch starken Verkehr vorzufinden. Weiter oben passierte ich noch eine Schranke mit Parkwächter, was jedoch kaum einen reduzierenden Einfluss auf den Verkehr zu haben schien. Am schlimmsten waren die Reisebusse, die manchmal an mir vorbeifuhren. Sie bretterten mit so einem Affenzahn das schmale Sträßchen hinauf, dass ich jedes Mal eine Panikattacke bekam wenn ich einen Bus herannahen hörte und einen Sprint hinlegte, um aus der unübersichtlichen Kurve herauszukommen. Abgeschiedene Natur – Fehlanzeige???

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Als ich endlich den Tovelsee erreicht hatte, erhärtete sich dieser Eindruck noch mehr. Erwartet hatte ich ein Naturidyll zu dem sich hin und wieder einmal ein paar Touristen verirrten. Was ich tatsächlich vorfand war ein ehemaliges Naturidyll, zu dem täglich tausende Autos und Busse hinauffahren um Touristen containerweise abzuladen. Es wimmelte hier nur so von Menschen. Die zwei Albergi waren um zahllose Blockhütten im Wald erweitert worden, überall wurde getrunken, gefeiert und vermeintlich authentische Pseudo-Alpenmusik vom Band gespielt. Beinahe wie ein riesiger Funpark inmitten der Brenta. Es war übrigens schwierig, ein Foto vom See zu machen, ohne Menschentrauben im Bild zu haben.

Irgendwie fühlte ich mich unwohl, nicht nur weil ich als Einziger unter Tausend, der sein Fahrrad dabei hatte, entsprechend entgeisterte Blicke erntete. Die ganze Atmosphäre war für mein Empfinden einfach skurril. Also verließ ich den Lago di Tovel schnellstmöglich wieder, und schon 1 km abseits herrschte wieder die gewünschte Ruhe.

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