Alpencross 2016 - Tag 11
[Etappe 1] [Etappe 2] [Etappe 3] [Etappe 4] [Etappe 5] [Etappe 6] [Etappe 7] [Etappe 8] [Etappe 9] [Etappe 10] [Etappe 11] [Etappe 12]Etappe 11
Borgo Valsugana - Caldonazzo - Sommo Alto - Passo Coe - Monte Maggio - Lambre
Länge: 53 km
Gesamtanstieg: 1800 Hm
Gesamtabstieg: 1410 Hm
Der vorletzte Tag unserer Reise brach an – und diesmal sogar mit erholtem Rücken und halbwegs trockenen Klamotten. Ein seltener Zustand auf dieser Tour. Wir packten unsere Habseligkeiten, verstauten die in der ganzen Wohnung verteilten Ausrüstungsstücke irgendwie wieder in den Rucksäcken und rollten los. Nur Minuten später fielen – wenig überraschend – die ersten Regentropfen vom Himmel. Diese Tour hatte wettertechnisch wirklich keine Gnade mit mir.

Ein Radweg führte uns entspannt am Fluss Brenta entlang, vorbei an endlosen Apfelplantagen, die sich in ihrer Eintönigkeit fast meditativ anfühlten. In Caldonazzo wurde es freundlicher. Der Regen verzog sich und wir hielten zur Frühstückspause in einem Straßencafé.

Martin bestellte – keine Überraschung – heiße Schokolade, einen doppelten Espresso und genug Kuchen, um eine Schulklasse hyperaktiv zu machen. Ich frage mich bis heute, wo er das alles hinfrisst.

Gut gesättigt rollten wir weiter, die Straße wurde bald zur Forststraße, die uns in eleganten Kurven durch den Wald nach Campregheri brachte – ein Ort, der so verschlafen wirkte, als hätte ihn jemand vergessen.

Dann ging’s parallel zur Fernstraße nahezu verkehrsfrei weiter nach Centa San Nicoló. Wir gönnten uns eine halbstündige Sonnenpause. Endlich wieder Sonne! Das nutzten wir natürlich sofort zur Klamottentrocknung. Regensachen ausbreiten, hinlegen, Augen zu – Instant-Siesta in der Alpenhitzekammer.

Wenig später meldete sich meine Schaltung. Und zwar nicht mit einem höflichen „bitte mal justieren“, sondern mit einem wütenden Kettenrülpsen. Gänge wurden übersprungen wie Abschnitte in einem schlechten Film, der Gangwechsel kam wahlweise zu spät, zu früh oder gar nicht. Die Kette krachte, knirschte und ruckte sich durch den Antrieb, als hätte sie ein Eigenleben. Trotz mehrerer Einstellversuche, Ziehen am Zug, Drehen an den Rädchen – nichts half. Ich vermutete, dass der Schaltzug – ein Billigteil vom letzten Gardasee-Ausflug – durch den Dauerregen endgültig seinen Dienst quittiert hatte. Also weiter mit ruppiger Schaltung und stoischer Ignoranz. (Daheim wurde der Verdacht übrigens bestätigt: Mit einem teflonbeschichteten Shimano-Zug lief alles wieder wie geschmiert.)
Trotzdem kamen wir dank sorgfältiger Streckenplanung zügig und verkehrsarm bis Menegoi. Danach war leider Schluss mit Lustig: Die Via della Fricca zwang uns für ein paar hundert Meter auf eine gut befahrene Straße – inklusive Tunnel. Aber: Es gibt eine verfallene Ausweichroute außen herum, die zwar aussieht, als würde sie gleich in Mordor münden, aber immerhin keinen Autoverkehr hat. Kurz vor Carbonare bogen wir rechts in den Wald ab und nach 1,5 km Straße war der Verkehr wieder Geschichte.

Ein steiler Waldweg brachte uns nach San Sebastiano, wo wir Wasser am Brunnen nachfüllten – in der Hoffnung, dass dieser Tag uns nicht wieder durchregnet. Kurz darauf standen wir am Passo Sommo und nahmen die Forststraße hoch zum Sommo Alto. Einige Skilifte säumten den Weg, aber landschaftlich war es recht hübsch – und vor allem: die Sonne lachte!

Die Auffahrt war entspannt. Dabei unterhielten wir uns ausführlich über Hunde. Warum ich mich gerade daran so gut erinnere? Keine Ahnung. Oben angekommen, kehrten wir an der Hütte Stella d’Italia (1520 m) ein und tranken etwas auf der Terrasse – mit Blick auf die nächsten dunklen Wolken, die bereits aus Westen heranrollten. Pünktlich zum Aufbruch fielen ein paar Tropfen, aber das Gewitter zog vorbei. Für heute – ausnahmsweise – kein weiterer Regen mehr!

Mein Plan war simpel und ambitioniert: vom Sommo Alto zum Passo Coe, möglichst ohne Asphalt, ohne Steigungen, ohne Verkehr. Und siehe da – es funktionierte. Der Plan ging auf wie ein Hefekuchen. Bald standen wir am Passo Coe und nahmen die alte Militärstraße zum Monte Maggio in Angriff. Bisher hatten wir 40 Kilometer auf dem Tacho – jetzt kam die finale Steigung des Tages. Der Weg: historisch, landschaftlich ein Genuss, mit herrlichem Blick ins Terragnolo-Tal und Richtung Monte Pasubio.

Dieser Abschnitt war Teil des Sentiero della Pace – des 500 km langen Friedenswegs durch die Dolomiten, der sich vom Sexten bis ans Stilfser Joch zieht. Und tatsächlich: Es war friedlich. Und schön. Und still. Bis wir plötzlich fünfzig Meter vor dem Gipfel in Nebel eintauchten. Die Wolken zogen wie Geisterfahnen über den Grat und tauchten alles in ein gespenstisches Licht.

Wir trugen unsere Bikes die letzten Meter zum riesigen Gipfelkreuz auf 1830 m, pausierten dort oben und genossen Sonne im Gesicht und Nebel im Nacken – ein seltsamer Spagat.

Die Stimmung am Monte Maggio war so ungewöhnlich mit dem ständigen Wechsel zwischen Sonne und Nebel, dass wir eine Zei verweilten und eine Pause einlegten.

Martin nutzte die Gelegenheit, fluchend die Bremsbeläge zu wechseln. Die neuen wollten erst nicht passen, bis ich kurzerhand die Entlüftungsschraube öffnete – danach ging’s. Bremsen: wieder vorhanden.

Es war Nachmittag. Laut Karte ging es jetzt nur noch ungefähr 4 km über den Bergkamm bis zum Passo del Colombo, dann hinunter ins Tal. Das sollten wir problemlos schaffen können. Wir setzten unsere Fahrt auf dem schmalen Weg fort, der sich oft an einer Steilkante am Hang entlangschlängelte, vorbei an beeindruckenden Felsformationen und Höhlen, mal hoch, mal runter. Die Nebelfetzen zogen weiter gespenstisch über den Berg. Landschaftlich beeindruckend, aber leider teilweise nicht fahrbar.

Oft mussten wir unsere Bikes ein Stück hoch oder runter tragen, an vielen Stellen war der Weg ausgesetzt und absturzgefährlich. Wir verloren dadurch eine Menge Zeit und brauchten viel länger als erwartet. Von den zusätzlichen Strapazen ganz abgesehen. Am Cima del Coston begann es bereits zu dämmern und die Sicht hier oben im dichten Wald wurde schon schlecht.

Als wir am Passo del Colombo ankamen, waren wir einigermaßen geschafft von diesem anstrengenden Weg. Wir standen vor der Entscheidung: hier oben biwakieren oder absteigen?

Wir entschieden uns für den Abstieg – und das war wortwörtlich zu nehmen. Der Pfad war mehr Klettersteig als Trail. Steil, mit losem Geröll, engen Spitzkehren und gerade so breit wie ein Handtuch. 300 Hm weiter unten wurde der Weg fahrbar, aber bis dahin schoben, zogen und fluchten wir uns bergab.

Der Wald war jetzt so dunkel, dass wir kaum noch den Pfad sahen. Trotzdem kamen wir auf dem Trail gut voran – und erreichten schließlich Lambre, ein winziges Nest mit ein paar Ferienhäusern. Eine freundliche italienische Familie erlaubte uns, auf der Terrasse eines leerstehenden Hauses zu biwakieren. Am Brunnen wuschen wir uns notdürftig und füllten unsere Trinkvorräte auf. Dann kam das Highlight: Pizzareste von einer benachbarten Familienfeier – ein Hochgenuss nach dem Nebelritt! Mit vollem Bauch krochen wir in unsere Schlafsäcke. Martin schnarchte los, ich grinste in den Schlafsack. Ein Tag wie aus dem Bilderbuch: Schaltung kaputt, Wolken im Gesicht, Fels unter den Füßen – aber Pizza im Bauch.
[Etappe 1] [Etappe 2] [Etappe 3] [Etappe 4] [Etappe 5] [Etappe 6] [Etappe 7] [Etappe 8] [Etappe 9] [Etappe 10] [Etappe 11] [Etappe 12]