Alpencross 2016 - Tag 9
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Rif. Fuciade - Col Margherita - P.so di Valles - Forc. di Venegia - Passo Rolle - San Martino
Länge: 25 km
Gesamtanstieg: 480 Hm
Gesamtanstieg mit Seilbahn: 1130 Hm
Gesamtabstieg: 1610 Hm
Nach einer erstaunlich ruhigen und – was fast noch wichtiger war – komplett regenfreien Nacht rollten wir gemütlich aus den Schlafsäcken. Es gab keinen Stress: Die erste Seilbahn würde eh erst um 8:30 Uhr fahren. Genug Zeit also, um langsam unsere Sachen zu packen und dann entspannt die Forststraße hinunter zum Passo di San Pellegrino zu cruisen, wo die Talstation bereits im ersten Sonnenlicht glänzte.

Die Gondel zerrte uns in Windeseile auf 2520 m Höhe hinauf zum Col Margherita – eine dieser klassischen Lifttransporte, bei denen man sich fragt, ob man dem Berg damit nicht ein wenig seine Würde nimmt. Die Wolkendecke löste sich langsam auf, und zwischen dem Diffuslicht kam immer mal wieder die Sonne durch.

Oben dann: Geröll, Wind, eine Art Marslandschaft. Aber immerhin: freie Sicht und stabile Laune. Die Abfahrt begann standesgemäß: grober Schotter, breite Piste, ordentliches Gefälle. Kein technisches Schmankerl, aber eine willkommene Abwechslung zum ewigen Trailfokus. Manchmal ist es eben auch schön, einfach mal laufen zu lassen.

In diesem Fall: 300 Höhenmeter Vollgas über Gesteinsbrocken, bis wir die Forca di Pradazzo erreichten – ein eher unauffälliger Übergang, der ab sofort nur noch unter dem Namen „Schweinescharte“ in meiner Erinnerung existieren wird. Zwei stattliche Alpensauen sonnten sich dort vor einer Hütte und strahlten eine Gesundheit aus, wie sie manchem Wanderer zu wünschen wäre. Ob es sich um Vertreter der seltenen Unterart „Gletschersau“ handelte, ließ sich leider nicht zweifelsfrei klären.

Die Strecke blieb sich treu: grobschottrig, schnell, und – sagen wir ehrlich – eher unspektakulär. Nach ein paar weiteren Kilometern im Driftstil erreichten wir den Passo di Valles. Zeit für eine Pause. Rifugio, Sonnenterrasse, Kuchen. Ein Bernhardiner leistete uns Gesellschaft – voluminös, sabbernd, gut gelaunt. Während ich Apfelkuchen einwarf, zerlegte er einen Knochen in atemberaubender Geschwindigkeit. Danach leerte er demonstrativ den Brunnen, pinkelte neben meine Bank und beendete damit unsere Rast auf seine ganz eigene Art.

Der Aufstieg zur Forcella di Venegia begann wie erwartet: steil, schottrig, schulterlastig. Doch mittlerweile machten uns solche Einlagen kaum noch etwas aus. 200 Höhenmeter? Gähn. Selbst mit 20-Kilo-Gepäck ein lockeres Aufwärmprogramm. Über die Tragestrecke hatten wir einen eindrucksvollen Blick zurück auf das Rifugio Capanna Passo Valles.

Eine kurze Kraxelpassage war das Salz in der Suppe unseres Bike-Trage-Trainings hoch zur Forcella. Ansonsten steckten wir die Anstrengung mittlerweile locker weg.

Oben auf 2210 m: Panorama deluxe. Vor uns das mächtige Massiv des Cimon della Pala, Dolomiten-Postkartenkulisse in Echtzeit. Es ist jedes Mal wieder beeindruckend, wie scharfkantig und dramatisch diese Gebirgslandschaft wirkt. Kein Vergleich zu den rundgewaschenen Alpenhügeln weiter westlich.

Die folgende Abfahrt war technisch schlicht – dafür voller Kuhfladen. Und zwar in allen Aggregatzuständen. Dazu die üblichen Almweg-Stampfspuren, bei denen man sich fragt, ob Kühe heimlich nachts Dirtbike fahren. Erst als der Weg in den Wald eintauchte, wurde es fahrerisch spannender.

Ein kurzer, flowiger Trail mit perfekter Aussicht auf das Dolomitenmassiv rund um den Cima della Vezzana beendete schließlich die Abfahrt, bevor wir auf einem breiten Schotterweg landeten – Wanderautobahn inklusive Stau durch italienische Großfamilien mit Selfiestick und Crocs.

Die Popularität dieser Route kommt nicht von ungefähr: ein wunderschönes Tal, spektakuläre Kulisse, keine alpine Erfahrung erforderlich – und am Ende eine Hütte mit Bier. Was will der zivilisationsnahe Bergfreund mehr?

Vorher badeten wir noch unsere Schweißfüße im eiskalten Gebirgsbach. Der Fischbestand war danach gefährdet, doch uns belebte die spontane Wellness-Aktion enorm.

Der finale Anstieg zur Baita Segantini ist mit 250 Höhenmetern auf kinderwagenfreundlichem Weg für uns kein Thema mehr. Es war warm, es war steil – aber es war kurz.

Die Belohnung auf der gut besuchten Berghütte bestand aus einem Radler statt Bier. Immerhin war es noch nicht einmal Mittag. Wir genossen die Pause mit Aussicht in vollen Zügen.

Die 2 km von der Hütte bis zum Passo Rolle ging es nun hinab – aber nicht auf der langweiligen Schottertrasse wie der Rest der Meute. Wir fanden eine schmale Trail-Abkürzung, der sich etwas versteckt, aber lohnend neben der Hauptstrecke entlangzog. Kurvig, leicht verwachsen, dafür mit Spaßgarantie.
Doch der eigentliche Kniff kam danach: Statt vom Pass aus die Passstraße runterzuballern wie ein italienisches Rennradteam, folgten wir einem kleinen Trick. Vom Parkplatz aus zweigt ein kaum sichtbarer Trail ab, der anfangs durch kniehohes Gras und später entlang eines Bachs ins Tal führt. Interessante Weidegatter-Lösungen zwangen uns kurz zum Anhalten, ansonsten war der Trail größtenteils flowig.

Zwei Kilometer später zwang uns die Realität zurück auf den Asphalt – allerdings nur für fünf Kehren. Danach: Leitplanke übersteigen, durchs Gebüsch klettern, Pfad finden. Belohnung: drei weitere Kilometer trailiger Downhill durch Wald und Wurzelwerk – komplett ohne Verkehr.

Unten erwartete uns San Martino di Castrozza – ein stattlicher Ferienort, eingerahmt von dramatischer Dolomitenkulisse. Von hier führen Seilbahnen direkt in den Pale di San Martino Naturpark – auch auf den Tognola, unser eigentliches Ziel. Nur: Wir waren zu spät. Wieder einmal. Aber der Tag war auch so ganz in Ordnung: netto 500 Höhenmeter bergauf – eher Entspannungstour als Schinderei. Den Abend verbrachten wir mit Pizza, einem ordentlichen Zimmer – und einem heftigen Gewitter draußen, das uns dank festem Dach diesmal nichts anhaben konnte.
Fazit: weniger Drama, mehr Dolce Vita – mit Schweinescharte, Bernhardiner und Kuhfladenparcours. Auch das ist Transalp.
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