Alpencross 2016 - Tag 1
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Kiefersfelden - Kufstein - Brentenjoch - Kaindlhütte - Hochegg - Hintersteiner See
Länge: 24 km
Gesamtanstieg: 1170 Hm
Gesamtabstieg: 750 Hm
An einem dampfheißen Freitagnachmittag im Juli 2016 war es endlich so weit: Martin und ich rollten los – zwei Bikes, zwei Rucksäcke, ein Plan und ein großes Stück Alpen vor uns. Ziel war ein möglichst trailintensiver Alpencross durch die Dolomiten. Das Wetter? Wechselhaft, mit allem was dazugehört: Regen, Gewitter, Hoffnung. Ab Montag sollte es besser werden – sagten zumindest die Meteorologen. Wir verließen uns lieber auf unser Bauchgefühl – und auf die Tatsache, dass das Wetter eh macht, was es will. Also noch ein letzter Check des Gepäcks, ein kurzes Kopfnicken – und dann ging’s zum Münchner Hauptbahnhof. Schon die grüne Welle auf dem Weg dorthin nahmen wir als gutes Omen. Die Zugfahrt bis Kufstein war unspektakulär, angenehm entspannt – und als wir am kleinen Bahnhof ausstiegen, lachte uns die Sonne ins Gesicht. Besser konnte der Start nicht sein.

Kaum ein Kilometer vom Bahnhof entfernt erreichten wir das Ufer des Inn – und damit gleich den ersten kleinen Höhepunkt unserer Tour: eine historische Seilfähre, die seit 1770 Bauern und Händler über den Fluss gebracht hatte. Später kam eine Brücke, die Fähre geriet in Vergessenheit. Erst seit 1998 schippert sie wieder – heute allerdings eher für romantisch veranlagte Touristen und Bikepacker mit Sinn für schrullige Details.

Für zwei Euro ließen wir uns hinübergleiten, begleitet vom Plätschern des Wassers und einem Lächeln im Gesicht. Ein wunderbarer Einstieg in unser kleines Abenteuer.

Nach der Überfahrt folgten wir dem Innradweg gut vier Kilometer flussaufwärts bis ins Zentrum von Kufstein, wo sich Martin in der Bäckerei erst einmal mit Nahrung versorgte. Dann ging’s durch die malerische Altstadt unterhalb der Festung.

In Mitterndorf wartete dann der erste richtige Prüfstein: die knüppelsteile Forststraße hinauf zum Kufsteiner Stadtberg. Wir hatten den 6-Kilometer-Anstieg gerade zur Hälfte bezwungen, als es uns eiskalt erwischte – ein Platzregen samt Gewitter entlud sich direkt über uns. Blitze zuckten, Donner krachte, und wir? Wir hofften trotzig, das Gewitter würde sich gleich wieder verziehen, und verzichteten optimistisch auf die Regenkleidung. Falsche Entscheidung. Wenig später waren wir klatschnass, aber irgendwie auch euphorisch – das Gewittergewitter war ein Drama mit Soundtrack, und wir die tapferen Hauptdarsteller, die sich weiter nach oben kämpften, bis zum Aschenbrennerhaus.

Dort, unter dem Vordach der Hütte, dann doch: Regenklamotten an. Besser spät als erkältet. Durch die Steigung blieb der Körper warm, und die Hoffnung keimte, dass der Dampf aus den nassen Klamotten durch Körperwärme irgendwann nach draußen findet. Der Plan ging halbwegs auf, und während der Regen langsam nachließ, schob sich auch der Wilde Kaiser imposant ins Blickfeld. Die Landschaft wurde spektakulärer, das Licht stimmungsvoller – auch wenn ein paar Sonnenstrahlen die Szenerie noch perfektioniert hätten. An der Brentenjochalm auf 1200 Metern folgte ein willkommener Mini-Downhill von gut 100 Höhenmetern, inklusive Wasserstopp am Brunnen.

Dann wieder hoch – denn die Kaindlhütte wartete. Allerdings nicht auf uns. Die warme Gaststube mit ihren essenden und trinkenden Gästen ließen wir links liegen – wir wollten noch über das Hochegg, bevor uns die Nacht verschluckte. Also zogen wir weiter – natürlich wieder im Regen.
Das Hochegg liegt auf 1450 Metern, und wer hinauf will, muss schieben. Tragen. Fluchen. Ich kannte die Gegend von früheren Touren, wusste also, wie traumhaft sie bei gutem Wetter sein kann – heute mussten wir uns das alles vorstellen. Am Gipfelkreuz dann ein schnelles Foto, ein kurzes Innehalten – und weiter. Es dämmerte bereits, und wir wollten noch einen brauchbaren Schlafplatz auftreiben. Meine Hoffnung: irgendwo unterhalb des Hocheggs biwakieren.

Die Abfahrt wurde zur Rutschpartie: Der Trail war durch den Dauerregen stellenweise zerstört, ausgewaschen, glitschig – Felsen, Wurzeln, Matsch in rauen Mengen. Erst einmal mussten wir fast 50 Höhenmeter bergab tragen und schieben, bevor es halbwegs fahrbar wurde. Selbst dann: Konzentration pur, Tempo drosseln, jeden Zentimeter lesen. Die Suche nach einem Schlafplatz blieb erfolglos – entweder zu nass, zu steil oder zu sehr „nein, danke“ (Martins Blick war da eindeutig). Immerhin: Der Regen hatte aufgehört. Dafür waren wir inzwischen bis zu den Ohren eingesaut.

Von der Walleralm ging es dann zügig weiter hinunter zum Hintersteiner See. Dort versuchten wir unser Glück in einer Pension – aber die Preise waren derart astronomisch, dass wir schnell wieder draußen standen. Letztlich rettete uns eine nette Bäuerin: Wir durften in ihrem alten Schuppen direkt am See übernachten. Jackpot! Kein Tarp nötig, trocken, ruhig – perfekt. Und als krönender Abschluss: ein Sprung in den eiskalten See, mitten in der Abenddämmerung. Der Dreck war weg, der Kopf war frei. Ich fand’s großartig, dass Martin das alles mitmachte – kein Murren, kein Zögern. Ich hatte offenbar den richtigen Mitstreiter gefunden.

Ein kurzes Bad im See sorgte dafür, dass wir von Dreck und Schweiß befreit wurden. Anschließend zogen wir uns in unser "Schlafgemach" zurück. Im Licht unserer Stirnlampen gab’s noch eine kleine Mahlzeit im Schuppen, dann verkrochen wir uns in unsere Schlafsäcke. Tag eins – dreckig, nass, grandios.
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