Alpencross 2016 - Tag 8
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Arabba - Belvedere - Passo Padon - Malga Ciapela - Forca Rossa - Rif. Fuciade
Länge: 25 km
Gesamtanstieg: 1240 Hm
Gesamtanstieg mit Seilbahn: 2090 Hm
Gesamtabstieg: 1720 Hm
Nach einem Frühstück, das keinen Wunsch offen ließ – frisch, reichhaltig, fast schon luxuriös –, verabschiedeten wir uns, geduscht und zumindest oberflächlich entgeruchsneutralisiert, von unserer Wirtin. Dann rollten wir hinunter zur Talstation der Seilbahn, bereit für den ersten Lift des Tages.

Die Gondel von Arabba zum Belvedere überwindet in einem Rutsch 850 Höhenmeter an einer steilen Felswand – ein technisches Wunderwerk der Skitourismus-Industrie und gleichzeitig Teil der Sellaronda-Schleife, jenes Liftkarussells, das im Winter halb Südtirol im Kreis fahren lässt. Oben, auf 2470 m, hätte man direkt auf den berühmten Bindelweg Richtung Westen einbiegen können – hätte man. Wir entschieden uns stattdessen für den Sentiero 680, der östlich zum Passo Padon führt. Aber vorher noch ein kurzer Zwischenstopp am Rifugio Luigi Gorza – grandioser Blick zurück aufs Fanes-Gebirge, diesmal bei klarem Himmel und Sonnenschein. Ein Moment zum Einrahmen.

Der Trail begann direkt hinter dem Rifugio – felsig, teilweise erdig, gelegentlich wurzlig. Der Pfad zog sich am Südhang entlang, immer in Sichtweite der Marmolata und des tiefblauen Fedaia-Stausees, der weit unten im Tal wie ein flüssiger Spiegel glitzerte.

Anfangs ein paar Gegenanstiege, dann ging der Trail über in einen der schönsten Flowtrails, die ich bisher gefahren bin. Fast komplett fahrbar, anspruchsvoll, aber fair – und landschaftlich eine Wucht.

Zwei Österreicher, die wir unterwegs trafen, bezeichneten den Weg als „den besten Trail der Alpen“. Ob das nun stimmt, sei dahingestellt – übertrieben war es jedenfalls nicht.

Am Passo Padon gönnten wir uns eine kurze Pause bei der gleichnamigen Hütte, dann ging es auf Almwiesen weiter in Richtung Crépe Rosse. Dort, unter den skeptischen Blicken einer italienischen Wandergruppe, zweigten wir scharf rechts auf einen schmalen Pfad ab, der uns zur Fedaia-Passstraße hinunterbringen sollte.

Hätte, sollte, könnte – in der Realität war dieser Trail ein von Regen ausgewaschener Hangpfad mit fragwürdiger Fahrbarkeit. Also: Absteigen, schieben, fluchen. Gehört dazu. Wer Trails mit Anspruch sucht, muss mit gelegentlicher Schieberei leben – und mit gelegentlicher Selbstkritik.

Nach rund 150 Höhenmetern erreichten wir die alte Passstraße. Verkehrsfrei, halb verfallen, herrlich – bis sie abrupt endete. Fünf Meter oberhalb der neuen Straße, direkt über dem Verkehr. Kein Weiterkommen. Kein offizieller Übergang. Nur ein Steinschlaggitter und eine fragwürdige Idee: Ich klemmte mir das Bike unter den Arm, krallte mich mit der freien Hand ins Gitter und hangelte mich seitlich die Wand runter. Keine Heldentat, aber auch keine Aktion für Menschen mit Höhenangst oder mangelnder Koordination. Runter kamen wir – die Bikes auch.

Zwei Kehren weiter dann die Erlösung: ein schmaler Weg zweigte rechts ab und schlängelte sich über Skipisten zur Baita Dovic. 250 Höhenmeter Schussfahrt – ungezügelt, unvernünftig, unglaublich unterhaltsam. Danach folgte die klassische Mischung: Bachquerung, Campingplatz, Cappuccino. Martin bestand auf seiner rituellen Kohlenhydratzufuhr im Campingplatzrestaurant, ich gönnte mir ein Lemon Soda und einen kurzen Moment der Stille.

Dann stand uns der Aufstieg zur Forca Rossa bevor – über 1000 Höhenmeter, zunächst auf Asphalt, dann auf zunehmend brutaler Schotterpiste. Anfangs noch fahrbar, später eindeutig: Schieben. Und zwar lange. Und zwar steil. Die Motivation sank, die Flüche stiegen, der Untergrund wurde loser und mein Nervenkostüm dünner. Ich war bereit für Abwechslung.

Zum Glück kam bald der Abzweig auf den Wanderweg – endlich raus aus der sterilen Forststraße, rein in den Hochwald. Der Pfad war verwunschen, stellenweise fahrbar, meist angenehm. Doch die ersten Wolken krochen bereits über die Grate und verdunkelten die Sonne. Regen kam keiner, aber das Gefühl blieb: Das Wetter spielt heute mit gezinkten Karten.

Als der Weg steiler und felsiger wurde, schulterte ich das Rad. Und wie so oft merkte ich: Tragen ist oft leichter als Schieben. Rhythmus, Gleichmaß, Schritt für Schritt – ich fand meinen Tritt, meinen Atem, meine Ruhe.

Der Nebel wurde dichter, die Sicht geringer. Mal 30 Meter, mal kurz Licht, dann wieder Watte in alle Richtungen. Aber es war eine schöne Watte. Dramatisch, ruhig, eindrucksvoll. Ich liebe diese Momente.

Die Forca Rossa auf 2500 m begrüßte uns mit Nebel und Stille. Landschaftlich ein Erlebnis – soweit man etwas sah. Weiße Wolkenfetzen zogen immer wieder über den Pass und wechselten sich ab mit schwachem diffusen Licht, das die Wolken hin und wieder freigab. Ein Ort, den ich kurz genossen hätte, doch Martin zog es weiter.

Also machten wir uns gespannt an die Trailabfahrt, die über Steine und Geröll vor uns im dichten Nebel verschwand. Der obere Teil der Abfahrt verlief über Geröll-Serpentinen.

Was halbwegs flowig begann, wurde dann technischer. Rinnen, Felsbrocken, Gegenanstiege. Kein echter Flow, aber ein ständiges Spiel mit Balance, Schwung und Linienwahl. 100 Hm tiefer verlief der Pfad in engen Rinnen, die sich durch große in der Almwiese eingebackene Felsbrocken schlängelten. Hier musste man gut aufpassen, um nicht mit dem Pedal aufzusetzen. Auch gab es immer wieder kurze felsige Gegenanstiege, die man nur mit genügend Schwung und der nötigen Balance meistern konnte. Insgesamt war das mittlere Trailstück überhaupt nicht flüssig fahrbar und man wurde immer mal wieder aus dem Sattel gezwungen.

Dann öffnete sich das Gelände: weite Almwiesen, grasende Pferde, die Sonne durchbrach für Sekunden die Wolken – ein Bild wie aus einem Bergmärchen.

Und mittendrin der Pfad, der sich schließlich steil zur Rifugio Fuciade hinunterzog. Eine schicke Hütte, bekannt für gutes (und teures) Essen, geschmackvolle Einrichtung – und heute: latent schlechte Stimmung. Martin kämpfte mal wieder mit Heimweh, was sich wie eine bleierne Decke über unsere Pause legte. Immerhin durfte er das Festnetztelefon der Wirtin benutzen – unsere Handys hatten längst wegen der Feuchtigkeit kapituliert.

Es war mittlerweile zu spät für die Seilbahn auf den Col Margherita. Also suchten wir einen Schlafplatz – und wurden fündig: eine verlassene Almhütte mit überdachter Terrasse. Perfekt. Isomatten raus, Schlafsäcke ausrollen, und beim Einschlafen beobachten, wie sich die gezackten Silhouetten der südlichen Dolomiten langsam im Abendlicht auflösten.
Ein stilles Ende für einen ereignisreichen Tag. Und doch: irgendwie vollkommen.