Alpencross 2016 - Tag 3
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Wildkogel - Krimml - Krimmler Wasserfälle - Krimmler Tauernhaus
Länge: 35 km
Gesamtanstieg: 1050 Hm
Gesamtabstieg: 1410 Hm
Die Luft war klar, kühl und sauber – so sauber, dass man das Gefühl hatte, die Gedanken würden gleich mitgereinigt. Es war kurz nach fünf Uhr morgens, als ich die Augen aufschlug, vom ersten Dämmerlicht geweckt. Die Nacht war ruhig gewesen – mit Ausnahme einiger nächtlicher Schnarchattacken von Martin, der diese akustische Eigenheit bislang beharrlich verschwiegen hatte. Na gut, kein Drama. Gehört halt dazu. Ich robbte aus dem Schlafsack, schlüpfte in die Schuhe und trottete zur Aussichtsterrasse des Gipfelrestaurants hinüber. Allein.
Dort stand ich, umgeben von morgendlicher Stille, während sich der Himmel langsam vom samtigen Schwarz über Indigoblau zu Violett verfärbte. Vor mir: die gezackten 3000er der Zillertaler Alpen, Venedigergruppe, Glocknergruppe – ein endloser Horizont aus Fels, Eis und Licht. Und dann, wie jeden Morgen, dieses Schauspiel: Die Sonne tastete sich über den Kamm, tauchte die Gipfel in glutrotes Licht. Ich stand da wie ein Kind vorm Christbaum. Es ist jedes Mal aufs Neue ein Moment, in dem alles andere bedeutungslos wird.

Irgendwann krabbelte auch Martin aus seiner Schlafhöhle. Wir packten zusammen, setzten uns noch mal in aller Ruhe auf die Terrasse und verlängerten das Frühstück – nicht zuletzt, damit Martin seinen Kaffee bekam. Ohne Koffein war bei ihm vor 9 Uhr sowieso nichts zu wollen. Gegen halb zehn saßen wir endlich auf den Bikes und stürzten uns die Schotterstraße hinunter Richtung Steineralm. Es war ein beschwingter Start in den Tag, die Sonne schien, das Leben fühlte sich leicht an.

Etwa einen Kilometer hinter der Alm zweigte ein schmaler Pfad in den Wald ab – der „Rob J Supertrail“. Ein Name wie aus einem alten BMX-Comic, aber der Trail hatte’s in sich: steil, wurzelig, voller kleiner Gemeinheiten. Genau mein Geschmack.

Über bemooste Wurzelteppiche, ausgesetzte Hangpfade, steinige Absätze und enge Kehren ging es runter durch das grüne Halbdunkel des Waldes. Ein Trail wie ein Gedicht – wenn auch eins mit ruppigem Versmaß. Ich hatte solche Abschnitte ganz bewusst in die Route eingebaut. Klar, die Anstiege machen einen Alpencross aus, aber erst die Abfahrten geben ihm Charakter. Und Würze.

Ich hatte mir im Vorfeld ein paar Gedanken gemacht, ob Martin mit solchen Trails klarkommen würde. Doch völlig unbegründet: Er grinste wie ein Honigkuchenpferd und zeigte ordentlich Fahrtechnik. Während er mir bergauf konditionell etwas voraus war, konnte ich beim Trailbiken punkten – insgesamt waren wir ein gutes Team. Ausgeglichen, ohne Leistungsdruck.
Etwa 400 Höhenmeter lang bot uns der Supertrail alles, was man sich wünschen kann – und auch einiges, worauf man gut hätte verzichten können. Wer glaubt, Abfahren sei Erholung, irrt gewaltig. Technische Trails fordern Konzentration, Körperspannung, Mut – und vor allem: Kraft. Unsere Tagesleistung schrumpfte dadurch spürbar, aber das war mir egal. Qualität vor Kilometer.

Unten in Neukirchen am Großvenediger rollten wir mit dreckigen Beinen und breitem Grinsen ein. Ab hier hatte ich eine Nebenroute ausgearbeitet – ein Forstweg durch den Wald, parallel zur Straße, über Wald im Pinzgau bis nach Krimml. Die Sonne brannte inzwischen gnadenlos vom Himmel, es war drückend schwül. Eigentlich genau mein Wetter – wäre da nicht der plötzliche Einbruch meiner Energie gewesen. Kleine, fiese Gegenanstiege zogen mir den Stecker. Aber ich kannte dieses Gefühl: Manchmal fährt man einfach durch eine Wand aus Müdigkeit – Zähne zusammenbeißen, weiterkurbeln, nicht nachdenken. Martin hatte mehr Dampf, ich biss mich durch.

In Krimml angekommen, war Essen angesagt. Wir landeten in einer etwas runtergerockten Pizzeria direkt an der Alpenstraße. Der Service war grenzwertig muffig, die Pizza mittelmäßig, aber der Schatten unter dem Sonnenschirm goldwert. Während wir unsere Speicher füllten, beobachteten wir arabische Großfamilien, die sich von Taxis zu den Wasserfällen chauffieren ließen – Frauen in Niqab, Kinder in Designerschuhen, Selfies vor tosendem Wasser. Ein seltsames Bild in den Tiroler Bergen. Ich hatte später nachgelesen, dass für viele Araber diese Wassermassen faszinierend seien – für sie eine fast magische Naturerscheinung. Krimml ist deshalb mittlerweile ein echter Hotspot für Touristen vom Golf.

Nach einer Stunde Pause fühlte ich mich wieder deutlich fitter – vermutlich war ich vorher einfach in ein Kohlenhydratloch gefallen. Wir sattelten auf und folgten dem Weg entlang der Krimmler Ache. Nach kurzer Zeit erreichten wir den Bereich, wo sich die Wassermassen glitzernd in die Tiefe stürzen. Auf unserer Seite war kaum etwas los – gegenüber drängten sich die Besucher an den Zäunen. Wir hielten inne, schauten dem Naturspektakel zu. Dann ging’s weiter.

Zunächst war der Anstieg schiebend machbar, doch bald wurde es steiler – Bike schultern war angesagt. Rund 250 Höhenmeter arbeiteten wir uns schwitzend und fluchend nach oben. Aber es lohnte sich. Der alte Tauernweg führt durch einen verwunschen wirkenden Bergwald – grün, wild, moosig, wunderschön. Später mündeten wir in eine Forststraße, auf der pausenlos Taxis Touristen zu den Hotspots im Achental karrten: Oberer Achenfall, Hölzlahneralm, Krimmler Tauernhaus.

Die Forststraße war anfangs noch ordentlich steil, sogar ein unbeleuchteter Tunnel lag auf dem Weg, dann wurde es gemächlicher. Entlang der Krimmler Ache strampelten wir weiter ins Tal hinein.

Es war bereits Nachmittag, die Besuchermassen lichteten sich, das Licht wurde weicher. Die Klamotten waren durchgeschwitzt, der Fluss glasklar – logisch, dass wir spontan ein Bad nahmen. Eiskalt, aber herrlich.

Erfrischt und mit nassem Shirt erreichten wir bald die Hölzlahneralm – Zeit für eine Stärkung. Martin gönnte sich etwas Herzhaftes, ich entschied mich für eine eiskalte Blaubeer-Buttermilch. Himmel, war die gut! Der Himmel dagegen sah zunehmend finster aus. Erste Tropfen fielen. Aber es blieb uneindeutig – Nieselregen, dann wieder Pause, dann wieder ein Schauer. Die Wettergötter spielten Pingpong mit unseren Regenjacken. Es nervte.

Trotzdem setzten wir unseren Weg fort – das Ziel war klar: möglichst weit hinten im Tal noch ein Biwakplatz finden. Beim Krimmler Tauernhaus vorbei öffnete sich das Tal und der Blick fiel auf das mächtige Massiv des Krimmler Kees mit der Dreiherrnspitze, der Simonyspitze und dem Großen Geiger. Eine Wand aus Eis und Fels, die scheinbar direkt den Himmel aufspießt. Für mich ein Moment stiller Ehrfurcht – da steht man unten und blickt in eine Welt, die größer, kälter, gefährlicher ist als man selbst. Und gerade deshalb so faszinierend.

Etwa zwei Kilometer weiter verließen wir schließlich den Hauptweg und fuhren vorbei an den Unlaßalmen. Ein kleiner Wald tauchte auf – trocken, windgeschützt, weich. Perfekt für unser Tarp. Kaum war es gespannt, setzte der Regen wieder ein. Punktlandung. Und ein würdiger Abschluss für einen langen Tag in den Bergen.
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