Alpencross 2016 - Tag 4
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Etappe 4: Krimmler Tauernhaus - Birnlücke - Birnlückenhütte - Kehreralm - Prettau
Länge: 17 km
Gesamtanstieg: 1000 Hm
Gesamtabstieg: 1220 Hm
In der Nacht hatte uns ein kurzer, aber intensiver Regenguss überrascht. Das Tarp hielt stand, der Schlafsack bewährte sich – warm und trocken, obwohl ich nur in Unterhose darin lag. Die Temperaturen waren deutlich unter 10 Grad gefallen, aber ich hatte gut geschlafen – zumindest bis auf die üblichen akustischen Störungen von Martin, die sich, trotz ihrer penetranten Regelmäßigkeit, allmählich in mein nächtliches Grundrauschen einfügten.
Wir waren gerade dabei, unsere Sachen zusammenzupacken, als sich ein bekanntes Klangbild näherte: dumpfes Poltern, unregelmäßiges Scheppern, dann das vielstimmige Läuten einer Herde Kuhglocken. Eine ganze Armada an Almvieh näherte sich zielsicher unserem Versteck im Unterholz. Wir hatten unser Lager zwar ein paar Meter abseits des Pfades aufgeschlagen – aber offenbar nicht abseits genug.

Der Hirte bemerkte uns erst, als die Hälfte seiner Herde bereits zwischen Tarp und Bikes stand. Er erschrak kurz, entschuldigte sich höflich und trieb sein gestreiftes Großvieh ungerührt weiter. „Weiter, weiter!“ rief er den Wiederkäuern zu, dann ein deutlich vernehmbares „Plopp“ – Martins Wasserschlauch war Geschichte. Zertrampelt. Derlei Pannen kann man sich nicht ausdenken. Zum Glück hatte Martin vorgesorgt und einen zweiten Schlauch im Gepäck. Wir lachten über die absurde Szene, packten zusammen und machten uns auf den Weg.
Wir fuhren weiter in das Tal hinein. Unsere Hoffnung, bei der Außerkeesalm Käse zu ergattern, wurde nicht erfüllt – offenbar war es noch zu früh für alpenländische Gastfreundschaft.

Der Blick auf den Gletscher wurde am Talschluss noch eindrucksvoller, wirkte noch gigantischer. Hier gab es keine Geräusche mit Ausnahme des gleichmäßigen Rauschens der Krimmler Ache.

Der geschotterte Weg zog sich gemächlich tiefer ins Tal hinein. Ideal, um unsere ausgekühlten Muskeln aufzuwärmen. Vorbei an der Inneren Keesalm hatten wir den Talschluss erreicht.

Kurz hinter der Alm erreichten wir den Abzweig zur Materialseilbahn der Warnsdorfer Hütte. Ab hier begann der ernsthafte Teil des Tages: Wir schoben die Räder über einen Bach – an der falschen Stelle, wie sich später herausstellte. Wären wir gleich bei der Keesalm rechts abgebogen, hätten wir uns die kleine Expedition durchs Wasser sparen können.

Was nun folgte, war alpiner Bikebergsteig pur: Fast 900 Höhenmeter mussten wir die Räder schultern. Der Pfad wurde steil, schmal, ausgesetzt, in vielen Serpentinen durch die Flanken des Berges gezirkelt.

An einigen Stellen waren Seilversicherungen angebracht. Es war technisch, fordernd – und wunderschön. Ich fühlte mich topfit, hatte mein Tief vom Vortag offenbar komplett abgeschüttelt und stapfte mit dem Bike auf dem Rücken bergan, als hätte ich es nie anders gemacht.

Zwischendurch überholte uns eine australische Wandergruppe. Ihre Gesichter sprachen Bände – so etwas hatten sie offenbar noch nie gesehen. Ein freundliches „Good luck, mates!“, dann waren sie wieder weg. Das Wetter war gnädig – bewölkt, aber stabil. Perfekte Bedingungen für diesen Gewaltmarsch.

Die Birnlücke, ein 2780 m hoher Pass zwischen Österreich und Italien, ist ein rauer Ort. Schroffe Felsen, Geröll, keine Spur von Vegetation. Und Wind, viel Wind. Der Name hat übrigens nichts mit Obst zu tun – er geht auf „Pyrlücke“ zurück, benannt nach dem alten Namen des Pirra-Bachs im Ahrntal. Wie so oft wurde irgendwann ein Buchstabe vertauscht – und plötzlich steht man auf der Birnlücke, ohne Birnen.

Wir verweilten nur kurz, überquerten ein Altschneefeld und dann begann die Abfahrt. Anfangs noch ein paar Meter Schieberei über Felsen, dann endlich Sattelkontakt. Der Trail war alpin, technisch, anspruchsvoll: verblockt, stufig, steil. Ein Gelände, das Konzentration, Fahrtechnik und Balance verlangt – und uns höllisch Spaß machte.

Abgesehen von den obersten 40 Höhenmetern war fast alles fahrbar – mit der nötigen Technik. Keine anderen Biker weit und breit. Die überraschten Blicke der Wanderer an der Birnlückenhütte sagten alles: „Die sind doch nicht ganz dicht.“ Wahrscheinlich nicht.

Zur Belohnung gab’s Spaghetti und Apfelschorle – meine Standardration. Während wir aßen, begann es leicht zu regnen. Der Wetterbericht hatte einen kurzen Schauer angekündigt – und ausnahmsweise hielt er Wort. Nach etwa einer halben Stunde ging’s weiter.

Ich rechnete mit einem flowigen Abfahrtstrail hinab ins Tal. Denkste.
Der Weg war mit großen Steinplatten gepflastert – von oben sah das halbwegs harmlos aus. Doch beim Abfahren entpuppten sich die Platten als kantige Stufen, die sich in engen Spitzkehren über die Almwiesen zogen. Dazu noch diese typisch südtiroler Steinrinnen – senkrecht in den Trail versenkte Steinplatten, querverlaufend, tückisch.

Was folgte, war ein rhythmisches Spiel aus Bremsen, Vorderrad drüberlupfen, Hinterrad entlasten und mit genügend Schwung drüber. Alle zehn Meter. Kein Flow, nirgends. Und wenn dann noch eine Spitzkehre mit Stufe kommt, bei der nicht mal das Hinterradversetzen hilft, ist klar: Hier will man nicht runterrollen, hier muss man arbeiten.

So kämpften wir uns 400 Höhenmeter tiefer bis in ein kleines Hochtal bei der Lahner Alm. Dort folgte nochmal ein anspruchsvoller Trail – weitere 140 Hm runter, mit hohen Stufen und Felspassagen. Erst als die Kehreralm in Sicht kam, kehrte so etwas wie Erholung ein.
Hinter der Alm begann eine breite Schotterstraße entlang der Ahr. Wanderer überall, was unsere Abfahrt gelegentlich bremste. Zwei Kilometer weiter trafen wir auf den Weg, der vom Krimmler Tauern herunterkommt. In Kasern begann der Asphalt – ein seltener Anblick auf dieser Reise. Wenige Minuten später rollten wir nach Prettau ein.

Wir beschlossen, uns heute mal wieder ein Zimmer zu gönnen. Die Räder durften in den Skikeller einer kleinen Pension, wir bekamen Dusche, Bett und frische Wäsche – Luxus pur.
Fazit des Tages: Die Birnlücke ist nichts für schwache Nerven oder schwache Beine. Sie ist technisch, anstrengend und um einiges fordernder als der Übergang über den Krimmler Tauern. Wer es lieber gemütlich hat, nimmt besser die leichtere Variante. Aber ich habe es keine Sekunde bereut – genau so muss eine Alpenüberquerung sein: wild, hart, eindrucksvoll.