Alpencross 2016 - Tag 2
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Hintersteiner See - Brandstadl - Kirchberg - Ehrenbachhöhe - Stangenjoch - Wildkogel
Länge: 56 km
Gesamtanstieg: 1650 Hm
Gesamtanstieg mit Seilbahn: 2050 Hm
Gesamtabstieg: 2370 Hm
Die Nacht war trocken, die Luft angenehm – nur der Schlaf wollte sich bei mir nicht so recht einstellen. Grund: Martin. Schnarcht wie ein asthmakranker Grizzly. Und hatte mir das vorab natürlich mit keiner Silbe verraten. Cleverer Hund. Aber gut, hilft ja alles nix – da muss man durch. Für ein paar Tage wird’s schon gehen. Irgendwie. ;-)

Am frühen Morgen hing dichter Nebel über dem Hintersteiner See. Der See lag still da wie ein schlafender Riese, in Watte gepackt, während wir gegen sechs Uhr unsere sieben Sachen zusammenpackten und die Bikes startklar machten. Es war einer dieser ganz besonderen Momente – diese Ruhe, dieses fahle Licht, der taufrische Trail entlang des Sees... Gänsehaut inklusive.

Am Ostende des Sees, bei Hinterstein, zweigte ein unscheinbarer Feldweg von der Straße ab, schwang sich durch den dichten Nebel und verschwand wenig später im Wald.

Wir folgten dem Weg und durften eine richtig schöne Abfahrt erleben – ein schmaler, steiniger Waldpfad, der sich am Seebach entlangschlängelte, gespickt mit ein paar Brückchen und Holzstegen, nie steil, nie gefährlich – einfach flowig. Nach etwa 150 Höhenmetern mündeten wir auf eine Straße, von wo aus es asphaltiert weiter bergab ging, bis wir schließlich in Blaiken ankamen.

Direkt gegenüber der Brandstadl-Seilbahn stellten wir unsere Bikes ab und kehrten hungrig im Scheffauer Hof ein. Endlich Frühstück!

Und ein ziemlicher Realitätsschock: Während wir genüsslich unsere Semmeln verdrückten, erzählte uns die Wirtin von einem Terroranschlag in München – nur zwei Stunden nach unserer Abreise hatte ein Attentäter im Olympia-Einkaufszentrum mehrere Menschen getötet. Auch von weiteren Anschlägen war die Rede, der Nahverkehr sei komplett lahmgelegt worden. Uns stockte kurz der Atem. Dann waren wir vor allem dankbar, rechtzeitig losgekommen zu sein. Der Rest ist Fassungslosigkeit.

Nach einem kurzen Anruf zu Hause, um zu hören, dass dort alles in Ordnung war, rollten wir zur Talstation. Die Bikes wurden in die Gondel gehievt, wir hinterher – und schon schwebten wir über den Nebel, hinein in ein strahlendes Bergpanorama.

Zack, 950 Höhenmeter später standen wir oben am Brandstadl, 1600 Meter über dem Alltag. Was folgte, war erst eine schnelle Schotterabfahrt bis zum Tanzboden, dann ein kurzer Anstieg zur Eibergalm – und dann ging der Trailspaß los.

Hinter der Holzlalm verließen wir die breite Forststraße und nahmen den schmalen Trail hinunter nach Hochbrixen. Mal durch Almwiesen, mal über Weidegatter, mal unter einem alten, stillgelegten Lift hindurch – abwechslungsreich, ein bisschen technischer, aber gut fahrbar und richtig schön.

Unterhalb der Hochbrixen-Bergstation ging es auf dem Gugggraben-Trail durch den Wald weiter Richtung Tal – Singletrail, Sonne, Flow, technische Abschnitte. Genau so soll ein Alpencross-Tag beginnen!

In Brixen im Thale standen wir dann vor einer Entscheidung. Ursprünglich wollte ich von hier über Westendorf hoch zum Laubkogel, dann über das Brechhorn abfahren und die Geigenscharte queren. Doch ich hatte zu wenig Infos über die Abfahrt vom Brechhorn – und sie sah auf der Karte verdächtig unfahrbar aus. Also hatte ich die Route kurz vor Abfahrt noch einmal umgeplant. Statt Westkurs ging’s also ostwärts, über den Radweg nach Kirchberg in Tirol. Dort gab’s zur Mittagszeit erst mal eine ordentliche Portion Käsespätzle – wie immer das kulinarische Äquivalent zu einem Weichzeichnerfilter für die Seele – und danach Tickets für die Fleckalmbahn.

An der Talstation gab’s jedoch erstmal einen Rüffel vom Liftbetreiber – zu Recht. Unsere Bikes sahen aus, als hätten sie eine Schlammschlacht im Wildgehege überlebt. Mir fehlte einfach die Seilbahnerfahrung – das nächste Mal wird vorher geputzt. Versprochen.

Oben an der Ehrenbachhöhe (1800 m), direkt am Hahnenkamm, erwartete uns wieder das gewohnte Bild: breite Schotterstraße, ideal für Skigebiete – weniger fürs Herz. Wir donnerten 120 Höhenmeter bergab, bevor wir den langgezogenen Anstieg zum Pengelstein in Angriff nahmen.

Oben am Jufenkamm ging’s zunächst entspannt dahin – der Kammweg war schön, das Tempo locker. Eine kleine Runde um den Hiesleggsee sorgte für Abwechslung.

Dann ein holpriger Downhill über eine von Kühen verwüstete Almwiese beim Hochsaukaser, bevor es bei der Schwarzkogelscharte rechts weg ging. Vorbei an der Ruine der Oberen Kleinmoosalm und über einen netten Trail weiter hinunter.

Wir landeten auf einem Höhenweg, der sich hangparallel dahinzog. Mal hoch, mal runter, nie langweilig, oft ziemlich schön – bis wir schließlich die Rettensteinalm erreichten. Verlassen. Still. Und plötzlich wieder Regen. Wir füllten Wasser nach, machten eine kleine Pause auf der Terrasse – und schauten zwei anderen Mountainbikern zu, die sich den Weg heraufquälten. Aber das Wetter war launisch, also zogen wir bald weiter. Nächster Halt: Stangenjoch.

Das Joch selbst (1750 m) war schnell erreicht – ein paar Pfiffe der Murmeltiere begleiteten uns beim letzten Anstieg – und danach fuhren wir über eine eher unspektakuläre Forststraße zur Baumgartenalm hinunter. Eine gemütliche Alm mit einem freundlichen Wirt, der uns spontan ein Nachtlager anbot. Wir trafen auch die zwei Biker vom Weg dorthin wieder – nette Jungs aus Bayern, mit denen wir uns kurz unterhielten. Aber der Drang weiterzuziehen war stärker. Ziel: Wildkogel.

Zwei Routen führten dorthin: via Flecklalm oder Geislalm. Ich entschied mich für die westliche Variante – warum, kann ich bis heute nicht sagen. Vielleicht aus Bauchgefühl. Vielleicht Würfeln. Wie dem auch sei: Beide Wege waren breit, geschottert, wenig spektakulär. Und genau das war das Problem: Die Landschaft, ausgebeutet durch den Skitourismus, wirkte trostlos – kahle Hänge, Liftleichen, leere Hütten. Dazu das trübe Wetter und die Tatsache, dass mir langsam die Kräfte ausgingen. Ich hatte dieses Jahr kaum trainiert – und das rächte sich jetzt. Martin war noch erstaunlich fit, während ich die letzten Kehren schweigend schob. Auch eine Art Meditation.

Aber irgendwann war auch das geschafft – 2060 Meter, Bergstation Wildkogelbahn. Ich war fertig, aber happy. Und dank eines Endorphin-Flashs plötzlich wieder erstaunlich lebendig. So sehr die Skigebietsoptik auch stört – der Blick von hier auf den Alpenhauptkamm ist ein Gedicht!

Viel Zeit zum Genießen blieb allerdings nicht – es wurde schnell dunkel, und wir mussten einen Nachtplatz finden. Unter dem Vordach einer kleinen, verlassenen Hütte fanden wir ein perfektes Plätzchen. Isomatten raus, Schlafsäcke entrollt – fertig.

Während wir unser improvisiertes Abendessen aus Dörrfleisch und Müsliriegeln kauten, sah ich, wie die Gipfel der Hohen Tauern langsam im Schwarz der Nacht verschwanden. Im Tal leuchteten ein paar Lichter zu uns herauf, hier oben war es still. Nur die übermütigen Kühe auf der Wiese sorgten für etwas Gesellschaft. Und ich dachte bei mir: So darf ein Tag enden. Genau so.
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