Alpencross 2016 Tag 12

Etappe 12: Lambre – Passo Xomo – Monte Pasubio – Bocchetta di Foxi – Rovereto – Torbole
Länge: 61 km
Gesamtanstieg: 1880 Hm
Gesamtabstieg: 2570 Hm


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Noch bevor die Anwohner wach wurden, packten wir leise unsere Sachen und rollten den holprigen Karrenweg durch den Wald nach Ganna. Gleich danach zweigten wir auf eine Nebenstraße ab, die sich in ein paar Serpentinen hoch bis zum Passo Xomo zieht. Es war Zeit für Martins Frühstück, und das Col del Xomo wurde um Kaffee und etliche Kuchenstückchen erleichtert. Ich ernähre mich vorzugsweise herzhaft und habe etwas von meinem mitgebrachten Bergkäse mit Knoblauch verzehrt.

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Danach sind wir der Straße in Richtung Monte Pasubio gefolgt. Die ersten eineinhalb Kilometer bis zur Bocchetta Campiglia sind noch für Autos freigegeben. Hier befindet sich auch neben einem großen Parkplatz der untere Eingang zur Strada delle 52 Gallerie, einer alten Militärstraße, die im ersten Weltkrieg in den Berg gesprengt wurde und durch 52 Galerien hoch auf den Berg führt. Die Straße ist seit vielen Jahren für Mountainbiker gesperrt, da es wohl zu einigen tödlichen Unfällen gekommen war, bei welchen abfahrende Radler Galeriefenster für eine Tunnelausfahrt hielten und sich zu Tode stürzten.

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Diese Galerie-Straße ist aber nur eine von zwei Möglichkeiten, von hier aus auf den Berg zu kommen. Eine zweite Militärstraße führt – allerdings weniger direkt und auf der anderen Bergflanke – in 13 Serpentinen ebenfalls hoch zum Porte del Pasubio. Dies war unser Weg. Wir mussten an einer Schranke vorbei und dabei ein Fahrradverbotsschild ignorieren. Weshalb das dort angebracht wurde, kann ich mir nicht erklären, denn die Straße ist weder befahren noch sonst irgendwie gefährlich. Der gleichen Meinung wahren wohl auch zwei andere Mountainbiker, die uns im Verlauf von oben entgegengekommen sind.

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Die Straße ist grobschottrig und größtenteils schön zu fahren, auch wenn ich mich hin und wieder für das Schieben entschied, um etwas meine Kräfte zu sparen. Besonders die Aussicht ist toll, gerade wenn sich die Straße im oberen Teil an einer tiefen Schlucht entlangzieht. Trotzdem zieht sich die Auffahrt wie Kaugummi. Unterwegs machten wir eine kurze Brotzeit. Dabei entdeckten Martin und ich je einen blinden Passagier in Form einer Zecke an unseren Beinen. Wahrscheinlich Mitbringsel von der Abfahrt von Monte Maggio am Vortag. Wir entfernten die Parasiten sachgemäß mit der Zeckenkarte und machten ihnen den Garaus. Kurz darauf erreichten wir den Porte del Pasubio (das Tor zum Pasubio) und das Rifugio Achille Papa.

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Nach einer kurzen Pause fuhren wir weiter nach oben, vorbei an einem riesigen Denkmal für die gefallenen italienischen Soldaten und der Kapelle Chiesa S. Maria. Nicht ohne Grund nennt man die Gegend auch den „Berg der 10.000 Toten“, denn hier lieferten sich die Österreicher und Italiener im ersten Weltkrieg von 1916 bis 1918 erbitterte Schlachten. Im Verlauf dieses sinnlosen Gemetzels, das für keine Seite Gewinne brachte, wurden tiefe Stollen in den Berg getrieben und am Ende ganze Bergkuppen in die Luft gesprengt. Deshalb sieht noch heute der Bergrücken des Pasubio aus wie ein einziges Trümmerfeld.

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Das Kriegerdenkmal Sette Croci (Sieben Kreuze) war mit 2120 m der höchste Punkt der heutigen Tour. Doch bis dahin mussten wir unser Rad häufig über schmale Pfade durch die Geröllhalden tragen, und auch danach wurde es nicht besser. Im Sattel konnten wir nur selten sitzen. Erst als wir nach dem Piccolo Roite auf die andere Seite des Bergrückens gelangten, wurde es mountainbiketechnisch wieder interessant. Der Pfad war nun zwar schmal und ausgesetzt, verlief aber mit leichtem Gefälle am Hang entlang nach Nordwesten. Die Aussicht ist grandios und das Biken macht hier sehr viel Spaß, solange man keine Höhenangst hat und mit ausgesetzten Wegen kein Problem hat. Aufpassen muss man schon, denn hier geht es links einen steilen Hang hinab.

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Wir passierten den Roite und nahmen die Abfahrt zum Bocchetta delle Corde unter die Stollen, dann ging es auf einem teils anspruchsvollen Weg weiter zum Bocchetta di Foxi. Wir hielten kurz an um uns zu orientieren, als uns zwei Park Ranger entgegenkamen. Zumindest vermute ich, dass es Park Ranger waren, denn sie sahen offiziell aus und hatten Funkgeräte dabei. Sie wollten wissen, wohin wir wollten. Als ich nach oben deutete und ihnen eine grobe Beschreibung gab, waren sie davon gar nicht begeistert. Sie meinten, es wäre unmöglich dort zu fahren („It’s impossible!“) und außerdem für Mountainbikes strengstens verboten. Stattdessen sollten wir den Weg 102 nach Anghèbeni nehmen.

Ein Blick auf die Karte zeigte mir, dass diese Variante bedeuten würde, die steilen Serpentinen bis hinunter ins Tal das Bike zu schieben und zu tragen, nur um dann auf einer stark befahrenen Straße bis Rovereto zu kommen. Da ich Menschen, die einen so zum Narren halten wollen, nicht vertraue, bedankte ich mich herzlich für diesen tollen Hinweis und wir machten erst einmal eine ausgedehnte Pause. Die Pause dauerte solange, bis die zwei „Helfer“ den 102er Wanderweg so weit abgestiegen waren, dass sie uns nicht mehr sehen konnten. Dann haben wir natürlich wie geplant unser Tour fortgesetzt.

Ich möchte an dieser Stelle einmal anmerken, dass ich mich frage, was in den Köpfen der offiziellen Parkwächter vorgeht, dass sie der Meinung sind die Mountainbiker so hinter’s Licht führen zu müssen. Offensichtlich nicht viel. Denn weder ist das Mountainbiken hier tatsächlich verboten, noch war der bevorstehende Weg in irgendeiner Weise „impossible“ (ganz im Gegenteil, er war fantastisch!). Außerdem hätte es bessere Alternativen gegeben, als den schwachsinnigen Ratschlag, die Bikes nach Anghèbeni runterzutragen.

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Meine Routenplanung war jedoch erstklassig gewesen. Zunächst mussten wir eine kurze Steigung Richtung Corno Battisti hochschieben, dann folgte ein kurzer technischer Abschnitt (mit guter Fahrtechnik fahrbar) nach unten bis zu einem Aussichtspunkt, danach ging es rechts (nach Norden) auf einem herrlichen Ziehweg am Hang entlang bergab. Den Trail konnte man hier nur noch als flowig bezeichnen. Nach dem Passo Menderle ware es vorbei mit dem Steilhang, es ging nun auf tollen Pfaden über Wiesen und durch Wälder spritzig und mit hohem Tempo über Stock, Stein und Fels bergab. Das Fahren macht hier so viel Spaß, dass man sich regelrecht zwingen muss, einmal anzuhalten.

Wir passierten die Almwiesen der Malga Buse und erreichten die Malga Monticello, nach der man den scharf links abzweigenden Weg nehmen muss. Und weiter ging der Spaß auf einem steinigen Karrenweg bergab, der schließlich in einen schmalen eingewachsenen Waldpfad mündete. Dieser Singletrail zickzackt sich in einem guten Dutzend Spitzkehren nach unten, die den Fluss nur wenig bremsen. Wer hier ein wenig das Hinterrad versetzen kann, hat Vorteile! Der dichte Wald entließ uns an der Levro-Kapelle ins Sonnenlicht. Hier konnten wir am Brunnen unseren Durst stillen. Was für eine geile Abfahrt!!! Während Martin sich eine Entspannungszigarette gönnte, studierte ich die Karte. Nun waren wir fast unten in Rovereto und das Ziel unseres Alpencross war zum Greifen nahe! Ich hatte auch für das letzte Stück zuhause ein paar Pfade ausgetüftelt und war schon gespannt, ob sie ebenfalls so genial zu fahren sein würden.

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Nach der Pause fuhren wir auf einem verfallenen Weg bergab bis Vanza und weiter, bis wir schließlich die SS46 (die Landstraße nach Rovereto) erreichten. Auf dieser verblieben wir jedoch nur für etwa 500 Meter, dann setzten wir die Trailexperimente fort und erreichten nach einem kurzen Downhill einen Weg, der wegen Steinschlag gesperrt war. Wir beschlossen, das Schild zu ignorieren und sollten die Entscheidung nicht bereuen. Wir gelangten auf einen schmalen Pfad, der sich am steilen felsigen Ufer des verborgenen Lago di San Colombano entlangwand. Auch wenn das offiziell kein Radweg war, ist dieser 2 km lange Uferweg sicher die bessere Alternative, als einfach die Landstraße hinunterzurollen.

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An der Felswand des gegenüberliegenden Ufers entdeckten wir bald die Einsiedelei San Colombano (Eremo di San Colombano). Nach einer Sage soll ein irischer Ritter namens Colombano hier einen Drachen getötet haben, der in einer Höhle wohnte und alle kleinen Mädchen der Gegend verspeiste, die im Fluss Leno getauft worden waren. Hunger hatten wir inzwischen auch, aber uns stand der Sinn eher nach einer gescheiten Pizza. Gegen Ende des 10. Jahrhunderts wurde diese Kirche unter dem Felsendach errichtet. Nach diesem beeindruckenden Stück Geschichte erreichten wir die Staumauer, mit deren Hilfe der Leno-Fluss zu dem See angestaut wird. Wir mussten die Räder durch ein enges eisernes Gatter bugsieren (das offenbar Fahrrad- und Motorradfahrer abhalten soll) und kamen wieder auf die Landstraße, die wir nun auf dem letzten Stückchen endgültig bis Rovereto abfuhren.

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Die Stadt Rovereto ist mir eher als charakterloses industrielles ungemütliches Kaff in Erinnerung. Hier oben allerdings in Santa Maria am Leno ist der Ort direkt schön und malerisch. Wir folgten dem Leno bis zur Mündung in die Etsch, dann radelten wir auf dem klassischen Gardasee-Radweg durch Mori und über den Passo San Giovanni (272 m) nach Nago. Diese letzte Steigung war für uns keine große Sache mehr, trotz des anstrengenden Tages, den wir bereits hinter uns hatten. Als wir schließlich den Santa Lucia Weg nach Torbole hinunterfuhren, eröffnete sich uns der Blick auf den knapp 52 km langen größten See Italiens, den Lago di Garda! Wir rollten durch die Altstadt von Torbole und spürten den nachlassenden Südwind Ora. Der Strand war dicht bevölkert, denn es war Ferienzeit und Hauptsaison. Wir fanden einen freien Platz am Kiesstrand, auf den wir unsere Räder fallen lassen konnten.

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Nachdem ich wie immer nach dem Alpencross in die erfrischenden Fluten gesprungen war, lag ich am Strand in der Sonne und konnte diesen bisher längsten Alpencross noch einmal in Gedanken revue passieren lassen…

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Fazit:

Die Routenwahl war mir für diesen Alpencross fast perfekt gelungen. Der Trailanteil war sehr hoch, die Trails waren zum großen Teil auch recht anspruchsvoll und erforderten einiges an Fahrkönnen, so wie ich das gerne mag. Straßen und Asphalt konnte ich tatsächlich auf ein absolutes Minimum reduzieren. Die Strecken waren auch größtenteils abgelegen und wenig bekannt. All das ist in der Planung nur mit viel Erfahrung und Zeitaufwand zu bewerkstelligen. Die Route war über zwei Jahre gereift, und selbst am Tag vor der Abfahrt hatte ich noch eine Änderung vorgenommen. Insgesamt sieben Bergbahnen sorgten dafür, dass ich das Trailpensum der ganzen Reise stark erhöhen konnte, und die doch recht lange und intensive Route innerhalb von 12 Tagen überhaupt geschafft werden konnte. (Mit entsprechender Fitness hätte man diese Transalp wahrscheinlich auch in 10 Tagen fahren können.) Die Seilbahnen haben uns zusammen knapp 6000 Hm Anstieg erspart. Dafür konnten wir insgesamt 20.710 Hm bergab fahren!! Einzig der Abstieg von Monte Maggio am 11. Tag war nicht optimal gewesen, da das Bike größtenteils hinuntergeschoben werden musste. Doch das Naturerlebnis hat dieses Manko mehr als ausgeglichen.

Man unterschätzt oft, wie viel Planungsaufwand hinter so einer Transalp stecken kann. Die Straßen, Wege und Trails müssen recherchiert werden. Das ist besonders schwierig, wenn man wie ich gerne dort fährt, wo es nur selten Mountainbiker hin verschlägt. Viele Fragen müssen beantwortet werden: Wo bekommt man unterwegs Trinkwasser? Wo die Verpflegung? Wo kann man übernachten? Sind die Trails fahrbar? Muss man bergauf tragen oder schieben? Will man Seilbahnen nutzen? Ist dort die Fahrradmitnahme möglich? Öffnungszeiten? Welches Tagespensum kann man schaffen? Gibt es Alternativ- und Ausweichrouten? Wie organisiere ich Anreise und Rückreise? Müssen Übernachtungen gebucht werden? Bei einer Tour, die länger als eine Woche dauert ist es enorm schwierig, vorab einen genauen Zeitplan auszuarbeiten. Vieles ist variabel und unvorhersehbar, man muss einen Puffer mit einplanen.

Über die Ausrüstung hatten wir vor der Reise lange Telefonate geführt. Meinerseits war alles wie gewohnt optimal. An zwei Tagen hätte ich mir Regenüberschuhe gewünscht, aber es hat dieses Jahr auch außergewöhnlich viel und stark geregnet. Und so schlimm war’s dann auch wieder nicht, die Füße waren halt mal nass. Mit dem Wetter hatten wir nicht viel Glück, aber dennoch konnte das meine Stimmung nicht wirklich trüben. Bei Sonnenschein hätte ich an manchen Tagen sicher die Landschaft noch besser genießen können (wie z.B. im Fanes-Gebirge). Das Zwei-Personen-Tarp hat sich ebenfalls bewährt und jedem Wetter stand gehalten. Mit meinem Schlafsack und der Isomatte war mir auch bei nächtlichen Temperaturen von 5 °C wohlig warm. Martin kühlt da wesentlich schneller aus, deshalb hatte er auch einen dickeren Schlafsack dabei.

An Details, wie meiner zum Ende hin zickenden Schaltung oder Martins fünffach geflicktem Schlauch, merkt man wie wichtig es ist, mit einem hochwertigen und gut gewarteten Bike loszufahren und sich mit der Technik auszukennen. Wir hatten deshalb auch kaum Pannen, mit Ausnahme von zwei Snakebites und eben meiner hinteren Schaltung.

Martin und ich waren körperlich ein gutes Team. Da ich kaum Zeit zum Trainieren hatte, war er mir anfangs in Bezug auf die Ausdauer ein wenig überlegen. Doch nach dem sechsten Tag war alles wieder mehr als ausgeglichen, denn ich spürte einen Zuwachs an Energie und hatte mich ans Bergauffahren gewöhnt. Ich hatte anfangs Zweifel, ob nicht der eine oder andere Trail dazu führen würde, dass mein Reisepartner mich verflucht. Martin bewies jedoch ein hohes Geschick und bugsierte sein Hardtail auf den meisten Abfahrten überraschend gut talwärts. Ich habe ihn häufig gefragt, ob ihm die Trails zu heftig sind, aber auch er war mit den technisch anspruchsvollen Passagen hochzufrieden.

Doch nicht nur körperlich muss es stimmen. Martin und ich hatten uns vorher nur über das Internet kennengelernt und uns am ersten Reisetag zum ersten mal persönlich gesehen. Wenn man zu zweit fährt ist es wichtig, dass man sich gut kennt und weiß wie der andere „tickt“. Gerade wenn jemand nicht sehr aufgeschlossen ist, kann es leicht zu Missverständnissen kommen und es ist schwierig, den Reisepartner einzuschätzen. Man hängt Tag und Nacht zusammen, da ist es wichtig, dass man unkompliziert ist und offen kommunizieren kann. Eine Alpenüberquerung ist ein Abenteuer, das einen körperlich und mental an die Grenzen bringt. Wenn da noch persönliche Konflikte dazukommen, kann die Sache schnell im Fiasko enden und aus einem unvergesslichen Wahnsinnsabenteuer eine große Enttäuschung werden. Das heißt, man sollte sich seinen Reisepartner gut aussuchen, und Probleme offen ansprechen können. Je größer die Gruppe ist, desto schwieriger ist das und desto größer ist das Konfliktpotential. Deshalb würde ich so ein Extremabenteuer auch maximal zu zweit angehen.

Und der Ausblick auf nächstes Jahr? Ich weiß es noch nicht. Ich habe ein paar Ideen, die noch reifen müssen und werde wahrscheinlich erst 2017 entscheiden, was genau ich unternehmen werde.

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