Alpencross 2012 Tag 5

Etappe 5: Val Mora – Trelina – Passo di Verva – Grosio – Mortirolo – Vezza d’Oglio
Länge: 79 km
Steigung: 2880 Hm


Die Nacht war sehr angenehm und ruhig gewesen. Heute stand mit der Überquerung des Passo di Verva eine leichtere Etappe auf dem Programm. Ich konnte die Tour also in aller Ruhe angehen.

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Ich umfuhr den Lago di San Giacomo auf westlicher Seite. Ich wollte nicht die Standardroute über den Torre di Fraéle nehmen, sondern stattdessen einen zusätzlichen Anstieg hoch zum Bocca Trelina ausprobieren. Um dorthin zu gelangen, verließ ich den See am südlichen Zipfel und nahm die Forstraße hinauf zur Alpe Trela. Anfangs noch gut fahrbar wurde sie später sehr steil, so dass ich das Bike schieben musste. Hier fielen mir zum ersten Mal die Schilder von der Craft Bike Transalp auf, die am Wegesrand befestigt waren. War hier etwa ein Transalp-Rennen durchgegangen?

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Die Schotterstraße zog sich entlang einer tiefen Schlucht hoch bis zur Alpe Trela, einer Alm mit Viehwirtschaft. Dann verlor sich ein kleiner Pfad auf den Hängen der von Kühen zerstampften Almwiesen. Nach einigem Suchen fand ich dann doch Markierungen und stieg weiter auf bis zu der Höhe Bochetta Trelina auf knapp 2300 m. Das Rad schob ich die meiste Zeit. Hier wohnten unzählige Murmeltiere, die bei Annährung sofort Pfeiflaute ausstießen und sich in ihren Löchern versteckten.

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Oben angekommen, machte meine Route einen Linksknick und führte über eine Almwiese und entlang einem einsamen Bachlauf durch das Valle Vezzola bergab. Der Singletrail war sehr schön und nicht schwer zu fahren. Der Umweg hatte sich also gelohnt. Bald erreichte ich ein paar Hütten. Hier mündete der Singletrail auf eine Schotterstraße, der ich weiter den Berg hinunter folgte.

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Der Himmel war klar und ich hatte eine fantastische Sicht in das Val Viola. Nach einer kurzen kurvenreichen Abfahrt auf einem Schotterweg traf ich auf den Höhenweg, der sich auf etwa 1950 m bis nach Arnoga zog. Dieser Weg war Bestandteil einiger klassischer Transalp-Routen und so wunderte es mich nicht, dass mir bald ein Reiseradler entgegenkam. Dieser empfing mich mit einem begeisterten „Forza, forza!“ Nach einem kurzen Gespräch auf Italienisch stellten wir fest, dass er mich für einen Teilnehmer des Transalp-Rennens gehalten hatte, und dass wir beide Deutsche waren. Er klärte mich auf, dass heute auf dieser Route das Craft Transalp-Rennen stattfand. (Auch auf dem Höhenweg waren mir schon die Craft-Bike-Transalp-Schilder aufgefallen). Ich hatte nun also etwa 1000 Mountainbiker im Nacken, die zufällig genau an diesem Tag genau auf meiner Route fuhren. Weil ich in den Bergen eher die Ruhe genießen will, war ich darüber nicht sonderlich begeistert. Schon bald jedoch fand ich die Idee recht spannend, ein Stück im Peloton des Rennens mitzufahren. In Arnoga erwarteten mich die ersten Schaulustigen und Fotografen und feuerten mich als vermeintlich führenden Fahrer lautstark an. Dass ich als einziger einen 10-Kilo-Rucksack am Rücken und keine Startnummer hatte, fiel ihnen vor lauter Begeisterung nicht auf. Kurz nach Arnoga überholte mich das vorderste Feld der Fahrer an einer Steigung in einem irren Tempo. Ich hielt mich dabei die ganze Zeit ganz rechts, um den Fahrern ausreichend Platz zu machen. Sie sahen aus wie Pakete aus Muskeln und Sehnen, bunt in Werbung eingepackt wie radelnde Litfaßsäulen.

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Es folgte der Anstieg zum Passo di Verva. Die Schotterpiste war ziemlich steil, und ich gönnte mir unterwegs eine kleine Pause mit Brotzeit und beobachtete dabei die vorbeifahrenden Biker. Zwei Biker fragten mich, ob ich Kettenöl dabei hatte. Gerne übernahm ich den Kettenservice und wünschte ihnen noch viel Glück. Dann ging es weiter bergauf. Bald erreichte ich den Passo die Verva, hatte jedoch in all der Hektik kaum Gelegenheit, Fotos oder Filme zu machen. Ein Gipfelfoto war jedoch obligatorisch, dann ging es in rasendem Tempo auf der grobschottrigen Straße bergab. Ich war bergauf sicherlich außer Konkurrenz für 95 % der Teilnehmer, aber bergab überholte ich wieder etliche von ihnen. Hier konnte ich die Vorteile eines vollgefederten Bikes, ordentlicher Downhill-Bereifung und Fahrtechnik voll ausspielen. Unterwegs wurde ich unerwartet von einem Sportfotografen geblitzt. Statt eines Strafzettels wegen überhöhter Geschwindigkeit fand ich das Bild später im Internet. Leider scheint man als nicht registrierter Teilnehmer keine Chance zu haben, das Bild in anständiger Auflösung zu bestellen.

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Fast vier Jahre später erhielt ich eine E-Mail von einem Leser, der sich sehr dafür eingesetzt hat, von sportfotograf.com das Foto zu erhalten und mir zukommen zu lassen. Herzlichen Dank an dieser Stelle an Friedemann!!

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Auf dieser harten Strecke bis Eita gab es bei den Renn-Teilnehmern einige Reifen- und Schlauchpannen. Unten in Eita stand ein verzeifelter Biker mit seinem abmontierten demolierten Vorderrad in der Hand und rief die ganze Zeit „Tube 26 please!“ Keiner der Biker hielt an. Verständlicherweise, denn die wenigen, die vielleicht einen Schlauch dabei hatten, würden ihn ja eventuell selbst noch brauchen. Auch meinen Ersatzschlauch wollte ich nicht entbehren, da ich ja noch einige Passüberquerungen vor mir hatte. Sorry dude, nächstes mal besser vorsorgen!

Einen Teil der Abfahrt habe ich mit meiner am Sattelrohr montierten GoPro gefilmt, da für die übliche Filmprozedur (absteigen, Kamera aufstellen, zurücklaufen und vorbeifahren) einfach keine Zeit war. Ab Eita hatte ich mir einen Weg ausgetüftelt, der abseits der Asphaltstraße am Hang entlang verläuft. Lustigerweise war meine Route auch hier deckungsgleich mit dem Transalp-Rennen. Meine Routenwahl war gut gewesen, denn der Trail führte größtenteils recht flowig durch den Wald am Hang bergab bis Fusino, ohne dass ich auf einer Straße fahren musste. Es gab dort eine etwas schwierige Schlüsselstelle, vor der sogar für die Rennteilnehmer ein Warnschild angebracht worden war. Die meisten Biker sprangen hier vom Rad und schoben eilig hinunter, während ich mich fast ungebremst den felsigen Abschnitt hinunterstürzte. Wieder 5 überholt.

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Nach Fusino ging es dann auf Asphalt weiter bergab bis Grosio. Auf dem Weg vom Passo di Verva nach unten hat mich kein einziger Biker überholt. Nun würden sie aber ihre Chance bekommen, denn ich sah ein Straßencafé mit Eisverkauf und konnte nicht widerstehen. Ich genehmigte mir eine einstündige Pause und 8 Kugeln feinstes italienisches Eis im Schatten eines Sonnenschirms.

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Völlig entspannt saß ich im Café als mir klar wurde, dass meine Tagesetappe nun eigentlich beendet war. Aber es war gerade mal Mittag. Ich bin einfach zu schnell gefahren, was gar nicht zu meinem üblichen Reisetempo auf einem Alpencross passt. Ich wollte meinen Bike-Tag jedoch nicht so früh beenden. Kurzerhand beschloss ich, heute noch den Passo del Mortirolo in Angriff zu nehmen und eventuell Vezza d’Oglio zu erreichen.

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Ich verließ Grosio in nördlicher Richtung und zweigte dann auf eine Passstraße ab. Meine Route schien hier von der Route des Transalp-Rennes abzuweichen, denn ich traf erst viel weiter oben wieder auf Teilnehmer des Rennens. Bis dorthin pedalierte ich bei Affenhitze die Serpentinen der Asphaltstraße nach oben und machte an jedem Brunnen halt, um zu trinken. Verkehr gab es glücklicherweise fast keinen, und so gönnte ich mir unterwegs an einem Brunnen sogar eine Ganzkörperwäsche. Diese Erfrischung weckte meine Lebensgeister wieder und ich fuhr mit neuer Energie weiter nach oben.

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Später traf ich wieder auf die Rennstrecke und fuhr zusammen mit dem Schlussfeld weiter nach oben. Die Pause in Grosio hat mich wohl etwas zurückgeworfen, aber für mich hatte es sich gelohnt! Das Eis war wirklich ein Genuss gewesen. Vorbei ging es an den Straßenbemalungen, welche die Rennradfahrer des Giro d’Italia, der alle zwei Jahre hier vorbeiführt, anfeuern sollen. Mit einem durchschnittlichen Anstieg von über 10 % bei 13 km Länge zählt er zu den Bergwertungen der 1. Kategorie. Die maximale Steigung beträgt 18 %. Eigentlich heißt der Pass ja Passo della Foppa. Der Mortirolo liegt ein kleines Stückchen abseits. Zur Namensverwechslung ist es angeblich gekommen, als die Reporter beim Giro d’Italia den Pass fälschlicherweise Mortirolo-Pass genannt haben.

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Nach dem mit Aufklebern verzierten Schild der Passhöhe geht es ein Stück bergab. Dann gabelt sich der Weg. Dort gab es eine Erfrischungs- und Verpflegungsstation für die Teilnehmer des Rennens, die ich rechts liegen ließ und dem Weg nach links folgte, um die Straße hinunter nach Monno zu vermeiden. Ich befand mich immer noch auf der Strecke des Transalp-Rennens. Dieser Umweg führte über einen asphaltierten Radweg, der sich am Hang entlang weiter bergauf zieht. Während ich dort hochfuhr, zogen von Nordwesten her schon wieder dunkle Gewitterwolken auf. Mist, dieses Jahr hatte ich wirklich wenig Glück mit dem Wetter! Oben angekommen war ich zunächst unschlüssig, welche Abfahrt ich wählen sollte. Ich zog meine Regenjacke über und fuhr erst auf einem Schotterweg Richtung Val Bighera ab, dann ging es teilweise über spaßige Waldtrails weiter hinunter bis Vezza d’Oglio. Hier habe ich mir leider keine Zeit zum Fotografieren genommen, weil es schon leicht zu nieseln begann.

In Vezza d’Oglio nahm ich mir in einer kleinen Privatpension ein Zimmer mit Abendessen und Frühstück. Die Wirtsleute waren mir gleich sympathisch, auch wenn die Verständigung etwas holprig war, weil sie nur Italienisch sprachen und meine Sprachkenntnisse eher rudimentär sind. Das Zimmer war einfach, aber gut. Das Abendessen war Spitzenklasse: Ein dreigängiges hausgemachtes Menü aus italienischer Küche. Super! Heute hatte ich zwei Tagesetappen auf einen Schlag hinter mich gebracht und war entsprechend hungrig. Es ist schon erstaunlich, wie man automatisch die Geschwindigkeit erhöht, wenn man von einem Feld mitgezogen wird. Alleine wäre ich ganz sicher langsamer gefahren. Gut gesättigt begab ich mich aufs Zimmer. Hier konnte ich die Kamera-Akkus wieder aufladen und schaute mir noch einmal die Fotos der letzten Tage durch, bevor ich in einen tiefen Schlaf fiel.

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