Alpencross 2011 Tag 2

Etappe 2: Kaisers – Almajurjoch – Pettneu – Strengen – Landeck – Prutz
Länge: 58 km
Steigung: 1510 Hm


Am nächsten Morgen stand meine Routenänderung fest: Geplant war ursprünglich, nach dem Almajurjoch über St. Anton ins Moostal einzubiegen, das Seßladjoch in Angriff zu nehmen, nach Kappl abzufahren, und dann über das Masnerjoch und Arrezjoch nach Pfunds zu queren. Allein diese Strecke würde mich nach aktueller Einschätzung drei Tage kosten, die mir nicht zur Verfügung standen. Stattdessen würde ich nur das Almajurjoch passieren und leider leider die anderen genannten Pässe auslassen müssen. Über Pettneu würde ich bis Landeck fahren und schauen wie weit ich in Richtung Pfunds komme. Das war ein großer Umweg mit wenig Höhenmetern.

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Die Enttäuschung über diese massive Umplanung wich nur langsam, als ich am frühen Morgen das Almajurtal hochradelte. Bis zur Bodenalpe ist die Strecke sehr gut fahrbar. Überall am Wegesrand quoll das kühle Nass in Form von Bächen und Wasserfällen aus dem Berg; wohl auch eine Folge des extrem verregneten Sommers. Das Almajurtal ist sehr schön und still, hier war heute Morgen außer Murmeltieren niemand unterwegs. Eigentlich wollte ich von der Bodenalpe aus den direkten Weg zum Almajurjoch nehmen. Dieser war zwar ausgeschildert, doch war vom Weg fast nichts zu sehen, und dieses Nichts verschwand nach hundert Metern irgendwo im Gestrüpp um sich von dort aus im starken Hangbewuchs sehr steil nach oben zu winden. Nach meiner Aufstiegs-Erfahrung zur Großen Steinscharte vom Vortag beschloss ich, auch diesen Plan zu den Akten zu legen. Ich würde stattdessen dem Weg weiter bis zur Erlachalpe folgen, und dann im spitzen Winkel auf den Pfad 644 in Richtung Leutkircher Hütte einbiegen. Das war zwar länger, aber weniger steil.

Ab der Bodenalpe wird der Karrenweg deutlich steiler. Man könnte theoretisch auch fahren, doch ich wollte nicht völlig entkräftet an der Erlachalpe ankommen, und so schob ich die meiste Zeit. In der Nähe der Erlachalpe habe ich in traumhafter Hochgebirgslandschaft eine 20-minütige Rast eingelegt, und im Blickfeld der wie ein schiefer Haifischzahn emporstehenden Roggspitze mein selbstgemachtes Dörrfleisch verköstigt.

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Ich wusste bereits im Voraus, dass der bevorstehende Weg 644 recht schmal und ausgesetzt sein würde. Was jedoch auf mich zukam, sollte alle meine Erwartungen noch übertreffen… Zunächst führte der Pfad über Almwiesen durch niedriges Buschwerk und über Felsen ungefährlich bergauf. Mit dem Bike auf den Schultern meisterte ich so die erste Wegstrecke ohne Probleme. Dann läuft der Pfad in einen Steilhang hinein. Ich muss an dieser Stelle ganz klar sagen, dass der Weg sehr gefährlich ist und keinesfalls mit dem Mountainbike betreten werden sollte! Links fällt eine steile Fels- und Geröllwand hundert Meter in die Tiefe, rechts geht die Schieferfelswand fast senkrecht nach oben. Dazwischen liegt ein etwa 30-40 cm schmaler Pfad, der vom Regen ausgewaschen und mit Schieferschutt übersät ist. Es sah so aus, als hätte dieser Weg auch schon einmal bessere Tage gesehen und war im Laufe der Jahre immer mehr ausgewaschen worden. In dieser Art zieht sich der Weg rund 1000 Meter lang hin. Nur selten gibt es zwischendurch genügend Platz für eine kurze Pause.

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Als ich den Weg vor mir erblickte, habe ich sorgfältig abgewogen, ob ich an der Stelle umkehren sollte. Denn wenn man einmal in dieser Wand steht, ist es zum Umdrehen zu spät. Da ich sehr trittsicher und schwindelfrei bin, beschloss ich die Begehung zu wagen, aber dabei extrem vorsichtig zu sein. Da der Weg zum Schieben zu schmal war, musste das Bike getragen werden. Links unter den Arm klemmen wollte ich das Rad nicht, da es teilweise so eng war, dass ich die Gefahr, mich am Pedal oder Lenker zu verfangen, für zu groß hielt. Quer auf die Schultern legen ging erst recht nicht, da die nahe Felswand auf der rechten Seite dies nicht zulassen würde. Also habe ich das Fahrrad längs und schräg über die Schultern gelegt. Mit der linken Hand habe ich das Bike an der Gabel gehalten, mit der rechten mich wo immer möglich am Fels festgehalten. So habe ich mich Schritt für Schritt, teilweise seitwärts gehend, vorwärts getastet. So konnte ich mir zumindest meiner Schritte sicher sein; ich hielt es für die größte Gefahr, dass das Bike rechts am Fels anstoßen und ich so einen Schubs in Richtung Abgrund bekommen könnte. Also achtete ich ganz besonders darauf, keine schwunghaften Bewegungen zu machen und eine unbeabsichtigte Berührung mit der Felswand zu verhindern. Der Adrenalinschub war deutlich zu spüren.

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Wo immer es möglich war, habe ich eine kurze Pause eingelegt. Der Weg forderte meine volle Konzentration. Auch nur das geringste Anzeichen von Erschöpfung kann hier fatal enden. Ich erreichte das Ende des Steilhanges nach rund einer halben Stunden glücklich. Vor mir eröffnete sich der Blick auf herrliche Almwiesen, im Rücken immer noch der Zahn der Roggspitze, rechts neben mir im Gegenlicht der Mittagssonne die Fallersteißspitze. Nichts ließ mehr auf die Gefahren schließen, die hinter mir lagen. Die extreme Anspannung fiel von mir ab wie ein alter ausgedienter Mantel. An einem klaren Gebirgsbach füllte ich meinen Wasserschlauch und ließ mich in einer kleinen windgeschützten Senke erschöpft ins Gras fallen. Ich benötigte eine ausgiebige Rast. Dieser Aufstieg musste erst einmal verdaut werden – gemeinsam mit einer kräftigen Portion Dörrfleisch! Danach setzte ich den Aufstieg über die Almwiesen fort, teils schiebend, teils tragend, aber völlig ungefährlich. Eine halbe Stunde später erreichte ich den Kamm und hatte einen überwältigenden Ausblick auf die Almajuralpe, die Leutkircher Hütte auf der anderen Seite, und die fernen Gipfel der Stubaier Alpen. Dieses kühle Wetter hatte zumindest einen Vorteil: Eine Wahnsinns-Fernsicht.

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Ein rund 1km langer größtenteils fahrbarer steiniger Weg führt vorbei am Gipfelkreuz des Almajurjoches bis hinüber zur Leutkircher Hütte. Hier traf ich zum ersten Mal seit Langem wieder auf Menschen und auf ein großes Radler im Glaskrug. Wieder einmal empfingen mich die überraschten Blicke der Wanderer. Ich habe mich noch recht nett mit einem Wanderer unterhalten, der auf dem Fernwanderweg E4 unterwegs war, bevor ich meinen Rucksack wieder schulterte. Die Berghüttengäste beobachteten gespannt meine Abfahrt.

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Der folgende Trail hinunter ist schwierig, aber erstklassig. Größtenteils auf Schwierigkeitsstufe S3 führt der Weg in engen aber fahrbaren Kehren auf staubigem und steinigem Untergrund steil hinunter und ist für geübte Trailbiker fast komplett fahrbar. Weiter unten kommen einige Wurzelpassagen hinzu, das Niveau bleibt hoch und der Fahrspaß ist garantiert. Ab der Putzenalpe bin ich der Forststraße ins Tal gefolgt. Bei Pettneu war ich wieder in der Zivilisation angekommen.

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Mein nächstes Ziel war Landeck. Ich hatte die glorreiche Idee, die unangenehme Bundesstraße durch das Stanzer Tal zu vermeiden und stattdessen hinter Flirsch auf den parallel verlaufenden Nederweg abzubiegen. Wie toll dieser Einfall war, würde sich schnell zeigen. Während ich nämlich die ständig leicht abfallende Landstraße bequem bis Landeck hätte rollen können, habe ich mein Bike schiebend, schwitzend und fluchend über den Nederweg gezerrt, der sich oberhalb der Bahnlinie wie eine Achterbahn ständig hoch und hinunter am Hang entlangwindet. Dieser Weg endete gottseidank in Strengen, vorher war ein Verlassen der Route nicht möglich. Bis Landeck ging es dann mit 50-70 km/h die Landstraße hinunter. Ab Landeck bin ich der Via Claudia Augusta (Inntalradweg) bis Prutz gefolgt, die leicht ansteigend durch das Inntal führt. Der Radweg ist nicht besonders empfehlenswert. Man hat versucht, ihn möglichst abseits der Straße anzulegen, was leider nur teilweise gelungen ist. Außerdem ist der Radweg weder in Bezug auf den Untergrund (meist Asphalt) noch landschaftlich besonders reizvoll. Es war nun bereits 18:30 Uhr, und auch mental hatte ich für diesen Tag genug.

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Eine Antwort

  1. Markus sagt:

    Hallo, ich hätte diesen Bericht früher lesen sollen. Ich bin dieses Jahr auch in dem Steilstück nach der Erlachalpe zur Leutkirchner Hütte gewesen, habe mich auf Grund des Risikos zur Umkehr entschlossen. Respekt hier rüber gegangen zu sein!

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