Aufbau eines Freeride-Bikes Teil 6: Testfahrt

Das Downhill-Bike ist fertig, sieht sehr gut aus und hat sich bei der ersten Fahrt um den Häuserblock so angefühlt, als würde es regelrecht nach harten Felstrails und steilen Drops betteln. Auch mich juckt es in den Beinen, ich würde am liebsten sofort in die Berge fahren und den Boliden an seine Grenzen bringen. Dennoch muss ich mich gedulden. Zuerst steht ein Alpencross an, bevor ich die nächsten größeren Unternehmungen planen kann. Also muss das örtliche Gelände herhalten. Hier gibt es genug kleine Trailstücke, Stufen und Treppen, bei denen man das Bike auf die Probe stellen kann.
(Unten auf dieser Seite ein Nachtrag mit ausgiebigem Praxistest am Gardasee!)

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Die Rahmengröße L hat sich als ideal herausgestellt. Die Geometrie mit dem 6 cm langen Vorbau und relativ weit nach hinten gestellten Sattel ist für mich bei einer Körpergröße von 183 cm optimal. Es fühlt sich fast so an, als wäre das Fahrrad mit dem Körper verwachsen. :-) Genau so sollte es sein. Ich habe bei der Auswahl der Komponenten ebenfalls gute Entscheidungen getroffen. Einzig die Steuersatzkappe aus Plastik von Cane Creek war Mist, die habe ich durch eine Alukappe vertauscht.

Die Teleskopsattelstütze ist übrigens ein sehr nützliches Feature, gerade wenn man mit dem Bike nicht ausschließlich bergab fährt. Ein kurzer Griff zwischen die Beine und der Sattel ist verstellt. Und das ganz ohne zusätzlichen Schalthebel und Kabelgelumpe am Rahmen. Der SQLab 611 Sattel passt nicht nur optisch gut zum Bike (ich war da zunächst eher skeptisch), sonder auch ergonomisch perfekt zu meinem Hintern.

Der 1 x 11 Shimano-Antrieb arbeitet präzise und er war in Nullkommanix eingestellt. Einfacher geht’s nicht! Mir ist bei der Probefahrt aufgefallen, dass die Kettenschrägstellung im kleinsten Berggang extremer ist als im größten Gang. Da im Berggang die größte Belastung auf den Antrieb wirkt, wollte ich hier entgegen der Einbauanleitung für das Innenlager korrigierend eingreifen. Deshalb habe ich noch einmal das Innenlager ausgebaut und einen der beiden Spacer von der Antriebsseite auf die linke Seite gesteckt. (Am wichtigsten ist, dass die Anzahl der Spacer korrekt ist.) Dadurch wandert die rechte Kurbel noch 2 Millimeter nach Innen und somit näher zum großen Ritzel.

Schon vor des Komponentenkaufs hatte ich mir Gedanken über die Übersetzungsbandbreite der Standard -1 x 11-Schaltung gemacht und mit dem Gedanken gespielt, irgendwann ein kleineres Kettenblatt und eine andere Kassette zu verbauen, um ein oder zwei Berggänge mehr zu haben. Ich habe aber beim Bergauffahren am Isarhochufer festgestellt, dass dies gar nicht nötig ist. Die Übersetzung von 0,81 ist völlig ausreichend zum Hochfahren steiler Wege. Mit einem noch größeren Ritzel auf der Kassette würde sich eher das Schaltverhalten insgesamt verschlechtern, weil man das Schaltwerk zu sehr an seine Grenzen bringt. Je weniger Bandbreite ein Schaltwerk abdecken muss, desto sauberer und flüssiger funktioniert es. Also bleibt alles wie es ist. Standard ist immer gut, wenn man damit auskommt!

Der Druckpunkt der Bremsen ist sehr gut, könnte aber noch etwas früher einsetzen. Die Bremswirkung setzt erst ein, wenn man den Bremshebel ca. 2 cm gezogen hat. Das möchte ich optimieren. Ich werde also noch etwas Öl in die Leitungen spritzen, sobald ich das Wartungskit für die Shimano-Bremsen habe, und sehen ob es was bringt. Die Leder-Lenkergriffe, für die mich manch einer vielleicht belächeln wird, sind übrigens perfekt! Ich fahre hin und wieder ohne Handschuhe und dafür gibt es einfach nichts Angenehmeres. Die angeblich geringere Griffigkeit kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. In keiner Situation hatte ich jemals das Gefühl, die Kontrolle über den Lenker zu verlieren.

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Auch wenn ich bis jetzt nicht die Möglichkeit hatte, das Bike über eine richtige Downhillstrecke zu jagen, konnte ich doch ein paar gute Tests machen. Zunächst ging es ans Isarhochufer. Dort fährt man im häufigen Wechsel zwischen Berg- und großen Gängen, muss sich zwischen Bäumen durchschlängeln und ausgeprägte Wurzelteppiche bewältigen. Die eine oder andere Steile Kurzabfahrt oder auch gelegentliche kleine Sprünge sind ebenfalls dabei. Die Kontrolle über das Bike ist hervorragend. Es ist steif und wendig und (im Verhältnis zu anderen Downhill-Bikes) noch relativ leicht. Die Federelemente schlucken deutlich mehr weg, als bei meinem Lapierre-Bike, besonders am Hinterbau. Umso wichtiger ist es, den Rebound auf solchen Strecken schneller einzustellen, während man bei größeren Sprüngen und Drops eher einen langsamen Rebound benötigt. Ebenfalls positiv überrascht hat mich, dass der Downhill-Renner trotz des sensiblen Ansprechverhaltens der Federelemente auch beim normalen Pedalieren kaum schaukelt, man also auch durchaus mal ein längeres Stück bergauf fahren kann.

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Um den Moskitos in den feuchten Isarauen zu entkommen, bin ich danach auf ein parkähnliches Gelände ausgewichen, wo es vor allem Treppen und Stufen unterschiedlicher Art gibt. Hier konnte ich das Sportgerät durch schnelle Treppenfahrten (runter wie rauf) und Sprünge auf Herz und Nieren testen. Ich war dann doch überrascht, wie viel sicherer und kontrollierter man mit so einem Bike bei hoher Geschwindigkeit Hindernisse überwinden kann. Ich konnte sofort spüren, dass das Bike einfach für das Downhillfahren gemacht ist. Damit am Gardasee die verblockten Trails wie z.B. den Sentiero 601 runterzuheizen muss eine wahre Freude sein! Bei meinem Gewicht von ca. 75 kg ist das Bike mit der mittleren (roten) Feder der RockShox BoXXer und der Standardfeder vom Fox Van RC perfekt auf mich zugeschnitten. Federgabel und Dämpfer sprechen sehr gut an, schlagen aber auch bei größeren Drops nicht durch.

Außerdem erfreulich ist, dass auch ohne Kettenspanner die Kette trotz wilder Sprünge weder rasselt noch klappert noch irgendwo am Rahmen aufschlägt, oder gar herunterfällt. Wenn man ein bei Downhill-Bikes eher übliches Schaltwerk mit kurzem Käfig verwendet (z.B. ein Shimano Saint-, ein Shimano ZEE-Schaltwerk, oder die SRAM X1/X01-Komponenten), hat die Kette bei einer so großen Kassette automatisch weniger Spannung und dann ist ein Kettenspanner (also eine Kettenführung mit Führungsrolle am unteren Teil des Kettenblattes) eher notwendig. Da ich jedoch ein normales XT-Schaltwerk verbaut hatte (was bei Zahnkranzkassetten dieser Bandbreite absolut Sinn macht), das zusätzlich mit einer Dämpfung versehen ist, ist ein Kettenspanner für mich irrelevant.

Nachdem man sich ein neues Bike zusammengebaut hat, ist es ganz wichtig, die Jungfernfahrt auf einer kleinen Runde zuhause durchzuführen, bevor man sich damit in die Berge oder ins richtige Gelände begibt. Meistens fallen einem dabei noch all die kleinen Mängel auf, die man zuhause leicht beseitigen kann, aber auf einer Tour zum Problem werden können. Diese Kleinigkeiten habe ich jedoch schon auf der Runde um den Wohnblock bemerkt; auf der heutigen Tour ist alles perfekt gelaufen. Ich muss gestehen, dass ich nicht damit gerechnet hatte, das Bike auf Anhieb so problemlos in Betrieb nehmen zu können.

Zu guter Letzt habe ich noch einen Mud Guard an der Federgabel montiert, um Gesicht, Tauchrohre und Steuersatz vom hochspritzenden Dreck besser schützen zu können.

Nachtrag 23.09.2016:

Ich konnte nun das Downhill-Bike bei einem 10-tägigen Freeride-Urlaub am Gardasee bis an die Grenzen intensiv austesten. Ich bin die härtesten Downhillstrecken am Lago di Garda gefahren, die sich durch steiles felsiges Gelände, hohe Stufen, Drops und anspruchsvolle Trails auszeichnen. Meistens war ich mit hoher Geschwindigkeit unterwegs, die Federelemente wurden vollständig ausgenutzt. Mein Fazit nach dieser Downhill-Erfahrung:

Fahrverhalten und Federelemente

Das Fahrverhalten ist wirklich erstklassig. Schnelle Fahrten über sehr unwegsame Felspassagen und tiefe Drops steckt das Bike problemlos weg. Die Federgabel Rock Shox BoXXer mit Stahlfeder hat ein ausgezeichnetes Ansprechverhalten. Sie reagiert sehr sensibel auf kleinere Bodenunebenheiten wie Wurzeln und Steine, schluckt aber auch locker tiefe Drops und Felsstufen. Der Stahlfederdämpfer Fox Van RC scheint ebenfalls ideal zum Bike zu passen; ich hatte immer das Gefühl, das Bike sicher im Griff zu haben. Die Federhärte von 300 lbs scheint für mein Gewicht (75 kg) ebenfalls optimal zu sein. Die Geometrie des Rahmens ermöglicht ein sehr sicheres und kontrolliertes Fahren, sowohl bei hoher Geschwindigkeit, als auch auf verwinkelten steilen Passagen, die man langsam und technisch angehen muss.

Bergauffahren

Dank höhenverstellbarer Sattelstütze war es auch kein großes Problem, 1000 Hm hochzukurbeln. Die Übersetzung der Gangschaltung mit 34:42 war ausreichend. Ich habe mir zwar oft einen Berggang mehr gewünscht, aber es ging zur Not auch so. Eventuell werde ich irgendwann auf ein 30er Kettenblatt umrüsten. Ein Spaß war das Bergauffahren nicht, besonders in steilen Passagen war es spürbar anstrengender als mit meinem Lapierre-Fully. Wenn man viel fahren will, wird man meistens auf Shuttle und Seilbahnen zurückgreifen. Die absenkbare Sattelstütze hat beim Bergauffahren jedenfalls sehr geholfen.

Bremsanlage

Die Shimano XT M785 Bremsanlage hat sich perfekt bewährt. Zwar würden die Shimano Saint oder Zee noch einen weiteren Vorteil bringen, da sie über zwei Bremskolben verfügen und somit bei weniger Druck mehr Bremskraft auf die Scheiben bringen. D.h. man kann mit weniger Kraftaufwand bremsen. Allerdings hatte ich auch bei längeren Downhillfahrten keinerlei Probleme mit der Kraft in meinen Händen und Unterarmen. Der Unterschied würde sich also eher bei Fahrern bemerkbar machen, die Rennen auf Zeit fahren oder keine besonders kräftigen Hände haben. Dafür muss man für die Shimano Saint etwa 100 Euro mehr berappen, als für die Shimano XT Bremsen. Auch mit meiner eher geringen Bremsscheibengröße von 180/160 hatte ich anfangs bedenken, ob das ausreicht. Ich hatte jedoch nie Überhitzungsprobleme, was sicher auch mit meinem einigermaßen niedrigen Gewicht zusammenhängt. Ein schwerer Fahrer sollte eher größere Bremsscheiben verwenden und evtl. auch die Saint- oder Zee-Bremse.

Schaltung

Zur Schaltung gibt es nicht viel zu sagen. Sie hat perfekt und präzise funktioniert. Am zweiten Tag hatte sich der Umwerfer gelockert; ich hatte ihn wohl bei der Montage nicht fest genug gezogen. Das konnte jedoch mit einem Handgriff korrigiert werden. 1 x 11 Gänge sind für den Zweck mehr als ausreichend. Wenn man selbst nicht viel bergauf fahren will, würden am Zahnkranz auch 10 oder weniger Ritzel ausreichen. Ein vorderer Umwerfer wäre an dem Bike wirklich unsinnig. Das gedämpfte Schaltwerk ist super, die Kette klappert praktisch gar nicht mehr. Man sollte an einem Enduro-, Freeride- oder Downhill-Bike nur noch gedämpfte Schaltwerke verbauen!
Wer mit 10 oder weniger Ritzeln fährt, sollte sich überlegen, evtl. ein Saint- oder Zee Shadow+ Schaltwerk zu verwenden. Durch die kurze Bauweise sind diese besser vor Beschädigungen geschützt.

Reifen

Der Continental Baron (Black Chili Compound) ist zu meinem neuen Lieblingsreifen geworden! Der Grip ist deutlich besser als z.B. bei einem Schwalbe Hans Dampf, Muddy Mary oder Nobby Nic. Vor allem ist der Grip nachhaltig, während die Griffigkeit der Schwalbe-Modelle mit zunehmendem Verschleiß deutlich nachlässt. Das macht sich vor allem bemerkbar, wenn man über nasse Steine oder Wurzeln fährt. Auch weisen die Continental-Reifen einen deutlich geringeren Verschleiß auf, als ihre Pendants von Schwalbe. Eine Reifenbreite von mindestens 2,3″ hinten und 2,5″ vorne ist für das Downhillbiken aus meiner Sicht optimal. Und (hatte ich das nicht schon mal erwähnt?): Eine Laufradgröße von 29″ ist beim technischen Freeride- und Downhillbiken eher unsinnig. 27,5″ ist eine Felgengröße, auf die man auch verzichten kann.

Rahmen

Es war gut gewesen, den Rahmen überall mit Schutzfolie abzukleben! Besonders das Unterrohr hat den einen oder anderen Steinschlag abbekommen, ohne dass jedoch nenneswerte Spuren hinterlassen wurden. Sehr bewährt hat sich der Kettenstrebenschutz (MarshGuard Slapper Tape). Das Tape ist sehr dauerhaft und hält perfekt. Es sollte unbedingt an der Oberseite der unteren Kettenstrebe und an der Unterseite der oberen Kettenstrebe in voller Länge aufgeklebt werden. Denn trotz Schaltwerksdämpfung schwingt die Kette so stark, dass sie bei dem spitzwinkligen Downhill-Hinterbau oben und unten anschlägt.
Eine Schraube am Hinterbau-Gelenk hatte sich nach zwei Tagen gelockert. Sie war wohl werksseitig nicht fest genug geschraubt worden. Das hat sich bemerkbar gemacht, indem der Hinterbau beim Anheben ein minimales Spiel hatte. Auch das konnte ich mithilfe zweier Inbusschlüssel korrigieren. Die Schraube hielt dann für den Rest des Urlaubs perfekt. Der Rahmen hat bis jetzt allen Belastungen standgehalten, inklusive Drops und Sprünge. Ich konnte keine Verformungen oder Haarrisse erkennen. Die Geometrie ist für mich optimal, ich fühle mich auf dem Bike einfach wohl. Die Rahmengröße L passt auch ideal zu meiner Körpergröße von 183 cm.

Felgen und Naben

Dazu gibt es nichts zu sagen. Der Laufradsatz von Spank funktioniert einfach. Das Hinterrad hat einen Durchschlag wegstecken müssen (ich hatte wieder einmal mit dem Luftdruck experimentiert), der aber keinerlei Spuren hinterlassen hat. Die Speichenspannung war auch nach 10 Tagen Downhillfahren auf den ersten Blick in Ordnung.

Sonstiges

Der Sattel SQLab 611 Team Carbon ist zwar ein sehr guter Sattel. Leider ist jedoch die Carbonstrebe beim Fahren gebrochen. Sättel mit Carbonstreben werde ich zukünftig ganz sicher nicht mehr kaufen (schon gar nicht für ein Downhill-Bike), da die Streben viel zu dünn sind, um Belastungen standzuhalten.

Die Leder-Lenkergriffe sind zwar schick und vor allem ohne Handschuhe angenehm anzufassen. Jedoch ist mein Empfinden, dass durch ihre Härte schneller Blasen an der Handinnenseite entstehen. Ich werde deshalb auf weichere Gummi-Griffe umrüsten. Da man beim Downhill-Biken ohnehin immer Handschuhe trägt, stört mich der Gummi auch nicht.

Die absenkbare Sattelstütze, die von einigen Downhillbikern belächelt wird, hat sich übrigens nicht nur beim Bergauffahren als sehr nützlich erwiesen. Viele längere Abfahrten (vom Bikepark mal abgesehen) haben auch flachere Bereiche oder Gegenanstiege. Hier wäre es Unsinn, alles nur mit einem tiefen Sattel zu fahren. Genauso, wenn man nach der Abfahrt noch zurück nach Hause radeln will.

Zu allen anderen Anbauteilen gibt es nichts zu berichten.

Ein Video zu meinen Gardasee-Fahrten gibt es hier: Downhill Days Lago di Garda 2016 auf YouTube

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