Auf dem Stahlbock durch den Münchner Wurzeldschungel

Nach der Rückkehr von der 75 km langen Trailtour südlich von München mit meinem restaurierten Retro-Mountainbike kann ich nun ein erstes Fazit ziehen. Es ging von der Großhesseloher Brücke über Forstwege zum Starnberger See. Von dort durch Wälder nach Icking und dann auf anspruchsvollen Isar-Trails zurück nach München. Der Drahtesel und ich haben die Tagestour gut und pannenfrei überstanden.

Starnberger See

Starnberger See

Schon vorher war mir bei einer kurzen Testfahrt aufgefallen, dass der 2,5″ breite Nobby Nic etwas zu breit für den Hinterbau ist. Die seitlichen Stollen haben bei Kurvenfahrten etwas an der Innenseite der Hinterbaustreben geschleift. 1991 gab es solch fette Reifen noch nicht, der Hinterbau ist dafür schlichtweg zu eng. Ich hatte noch einen 2,1″ Rocket Ron zuhause, also habe ich den kurzerhand aufgezogen und alles war gut. Im Grunde sind Reifenbreite und Griffigkeit am Vorderrad sowieso wichtiger, als am Hinterrad.

Den Steuersatz hatte ich in den letzten Wochen 4-mal nachgezogen, weil er immer wieder locker geworden war. Leider hat er sich bei dieser Tour wieder gelockert und ich bin etwas ratlos, wie ich das Problem lösen soll. Beim Alpencross werde ich jedenfalls keinen riesigen Gabelschlüssel mitschleppen, um am Steuersatz herumschrauben zu können. Gewindesteuersätze sind einfach fummelig zu justieren. Da hat das moderne Ahead-System schon gewaltig die Nase vorn.

Das Fahren mit diesem Oldtimer ist schon alleine deswegen völlig anders als mit dem Fully, weil die Rahmengeometrie so extrem unterschiedlich ist. Enger Radstand und steiler Lenkwinkel sorgen für ein etwas nervöses Lenkverhalten. Die Sitzhaltung ist trotz Riser-Lenker und Vorbau mit 20° Winkel ziemlich gebeugt und eher nach vorne gelagert. Dazu kommt, dass mir der Rahmen eigentlich minimal zu klein ist. Bei längeren Fahrten auf ebenen Strecken merke ich die Belastung durch die tiefe Haltung des Oberkörpers und die Finger neigen dazu, einzuschlafen. Das kannte ich von meinem Enduro-Bike bisher nicht. Ich werde mir deshalb doch noch Lenkerhörnchen montieren, um die Griffposition wechseln zu können.

Auf den steinigen und wurzeligen Trails wurde ich mangels Federelementen ziemlich durchgeschüttelt. Auf sehr unebenen Strecken merkt man deutlich, dass das Fahren viel anstrengender ist. Ich musste besonders auf den Isartrails fast permanent aus dem Sattel gehen und mit dem Körper abfedern, anstatt bequem im Sitzen über die Wurzeln und Steine blubbern zu können. Die fetten Reifen und der Stahlrahmen sorgen zwar für ein Minimum an Dämpfung, aber dennoch reite ich letztendlich einen ungefederten starren Stahlbock, und das merkt man am Ende einer Tour deutlich. Bei schwierigen Trails macht es wohl Sinn, den Reifendruck von derzeit knapp 3 bar etwas zu reduzieren.

Die Schaltung funktioniert einwandfrei und erfreulich präzise. 14 Gänge sind tatsächlich ausreichend und an die weniger feine Gangabstufung konnte ich mich schnell gewöhnen. Bergauf bleiben bei der Übersetzung keine Wünsche offen. Beim Bergabradeln kann man noch bis ca. 35 km/h treten, danach muss man es einfach laufen lassen. Das ist für traillastige Mountainbike-Touren jedoch völlig in Ordnung. Die Cantilever-Bremsen funktionieren überraschend gut. Während das Einstellen der Bremsen ein lästiges Gefrickel war, greifen die Bremsen nun leicht und direkt, eine Bedienung mit zwei Fingern ist überhaupt kein Problem. Wie die Cantis allerdings auf nassen Felgen performen, muss sich erst noch zeigen.

Insgesamt bin ich mit dem Ergebnis meiner Sperrmüllbike-Restaurierung mehr als zufrieden. Ich denke ich habe das Optimum aus dieser alten Möhre herausgeholt, ohne allzusehr den Charakter dieses Oldtimers zu verändern. Der wesentlich geringere Fahrkomfort hat mich ehrlich gesagt zeitweise an der Sinnhaftigkeit meines Vorhabens, mit dem Teil die Alpen zu überqueren, zweifeln lassen. Das Fahren im Gelände ist deutlich anstrengender und unangenehmer, als mit einem gefederten Bike. Am Abend einer anspruchsvollen Trailtour fühlt man sich, als wäre man verprügelt worden. Sieben Tage lang mit diesem Bike auf schwierigen Pfaden durch das Hochgebirge zu radeln, grenzt an Masochismus. Trotzdem möchte ich an meinem Plan noch immer festhalten. Es folgen noch Testfahrten in den Allgäuer Alpen, bei welchen ich die physikalischen Grenzen des Peugeot-Klassikers und meine eigenen körperlichen Grenzen ausloten kann.

Ich werde berichten. Bleibt dran!

Isartrails

Isartrails

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6 Antworten

  1. Martin sagt:

    Hey Andi, dein Vorhaben hat zwar was, aber andererseits: willst du dir das wirklich antun? Eine Woche quälen, nur um hinterher sagen zu können: „Alpenüberquerung geht auch mit Retro-Bike“?

    Viele Grüße
    Martin
    P.S.: ist das Trailfoto ein solches mit 10 Sec Selbstauslöser? Hast du gut hinbekommen!

    • Gletschersau sagt:

      Ob ich mir das antun will…. Ich habe leichte Zweifel. Wahrscheinlich aber schon, wenn ich das Problem mit dem Steuersatz in den Griff bekomme.

      Die Fotos wurden mit dem Selbstauslöser der Sony RX100 gemacht. Der hat leider maximal 10 Sekunden Vorlaufzeit. Man erzielt trotzdem ganz gute Treffer, weil der Selbstauslöser dabei auch 5 Bilder in Folge machen kann. Man muss halt schnell zum Radl zurückrennen. :-)

  2. Wolfgang sagt:

    Hi, ich hab selber auch so ein Retroteil, ein alter Wheeler mit XT-Ausstattung.
    Also ich nehms halt in der Stadt, probeweise, nach der Lektüre hier, hab ich auch mal ne längere Querfeldeintour gemacht, aber ganz ehrlich, ein Alpencross würd ich mir nicht damit antun, vielleicht bin ich auch zu alt, aber jetzt liebe ich mein altes Fully erst recht. Mein Kreuz war bissle beleidigt.
    Das Problem mit dem Lager lässt sich vielleicht mit etwas Locktite (etwas !!) beheben ??!!
    LG Wolfgang

  3. Bastian sagt:

    Also wenn schon Retro, dann auch alles Retro und nicht nur das Bike :-)
    http://www.mountainbike-magazin.de/reise/touren/alpencross/retro-alpencross.203893.2.htm

  4. Norman sagt:

    3 bar scheinen mir doch deutlich zu viel!
    Auch wenn du wahrscheinlich mit Schlauch fährst.. hier mal Vergleichswerte von meinem 29er Fully tubeless:
    Vorne: 1,35 bar
    Hinten: 1,45 bar

    An deiner Stelle würde ich so wenig Druck wie möglich fahren. Hat nur Vorteile. Mehr Traktion, vor allem bei Nässe! Kaum erhöhter Rollwiderstand, auch wenn man es erstmal nicht glauben mag.
    Probier das mal aus ;-) du wirst es nicht bereuen. Eventuell würde ich noch Dichtmilch in die Schläuche füllen wegen der Pannensicherheit.

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