Alpencross 2017 Tag 4

Etappe 4: Sulden – Madritschjoch – Zufallhütte – Latsch – Naturns – Meran
Länge: 71 km
Gesamtanstieg: 900 Hm
Gesamtabstieg: 4040 Hm


Nachdem der Tag 4 ein absoluter Katastrophenwettertag werden sollte und die Aussichten für den Folgetag bestes Bergwetter versprachen, hatte ich nach langen Überlegungen eine wichtige Entscheidung getroffen: Wir würden den Regentag in Sulden aussitzen, da eine Überquerung des Madritschjochs bei dem Wetter unmöglich gewesen wäre. Eine Übernachtung konnte ich in der Pension glücklicherweise problemlos anhängen. Wir würden den Berg dann einen Tag später als geplant überqueren und den verlorenen Tag aufholen, indem wir die Strecke von Meran nach Auer per Bahn überbrücken. Da dies sowieso größtenteils langweiliger Etschtal-Radweg gewesen wäre, war der Verlust zu verschmerzen. Das Madritschjoch als Höhepunkt (im wahrsten Sinne des Wortes) der Transalp wollte ich keinesfalls auslassen.

Also vertrieben wir uns den Regentag, indem wir nach Hause schrieben, Smartphone und Wifi sei Dank Youtube-Videos anschauten, bei Regenpausen draußen Game of Bike spielten und uns ausruhten.

Tag 5, unser offizieller vierter Reisetag brach an. Und er begrüßte uns mit strahlend blauem Himmel! Erstaunlich, wie präzise der Alpenwetterbericht 3-4 Tage im Voraus ist. Nach dem Frühstück fuhren wir hoch zur Seilbahn Sulden und nahmen die erste Bergfahrt zur Schaubachhütte. Es ist schon beeindruckend, aus der Seilbahn zuzusehen, wie die massiven Wände des Hochgebirges an einem vorüberziehen.

Mein Sohn war schon jetzt fasziniert von dieser kargen unwirtlichen Hochgebirgslandschaft. Als wir die Gondel auf 2550 m verließen, war es weniger kalt als erwartet. Schon bald zog ich mein Langarmshirt aus und ging im T-Shirt weiter. Wir hatten einen Aufstieg von 550 Höhenmetern vor uns. Mein Sohn war noch nie in solchen Höhen unterwegs gewesen, während ich im Rahmen meiner Alpenüberquerungen schon mehr als einmal einen Dreitausender überquert hatte. Das Madritschjoch durfte ich schon einmal auf meiner Tour von 2011 erleben.

Nach langer Schieberei und einem kurzen Fahrstück kamen wir bei der Madritschhütte an. Die Hälfte wäre geschafft! Doch es ging weiter, über Fels, Geröll und Staub, immer steiler und immer höher.

Tapfer schob der kleine Alpencrosser sein Bike hinauf, sogar das letzte Tragestück ging er mutig an. Die Luft ist hier oben schon dünner, das Atmen fällt etwas schwerer. Schon ein Viertel der Bergsteiger bekommt auf diesen Höhen Anzeichen der Höhenkrankheit, wenn sie sich nicht akklimatisiert haben. Der Luftdruck ist hier etwa 20% niedriger als im Tal. Dadurch sinkt der Sauerstoffdruck und die Blutgefäße der Lunge verengen sich. Die Lunge kann weniger Sauerstoff aufnehmen, es kommt zu einer Sauerstoffunterversorgung. Doch viele Menschen haben auf solchen Höhen noch keine Probleme.

Mein Sohn glücklicherweise auch nicht. Wir hatten es schließlich geschafft, standen auf 3110 m Höhe, der höchste Ort an dem er jemals gewesen ist. Das Glücksgefühl war unbeschreiblich, man denkt man kann auf die ganze Welt herunterblicken, die hohen Berge der Alpen liegen einem zu Füßen.

Glücklicherweise waren die Temperaturen heute angenehm mild, was auch daran lag, dass kaum ein Wind ging. Eine größere Wandergruppe kam von der anderen Seite hinauf aufs Joch. Wir legten eine Pause ein, nahmen die fantastische Aussicht mit allen Sinnen auf, machten Fotos. In der Zwischenzeit kamen noch vier slowenische Mountainbiker mit den Bikes auf den Schultern hier oben an. Dann war es soweit, der kleine Enduro-Biker legte die Protektoren an und wir fuhren ab! Die ersten Meter sind noch zu steil und rutschig, da mussten wir schieben. Doch dann steigen wir in den Sattel und der Spaß begann!

Souverän bezwang der Junge die Spitzkehren und Felsstufen und hatte dabei unglaublich viel Freude. Die Abfahrt vom Madritschoch ist unheimlich vielseitig, flowige Abschnitte wechseln sich ab mit sehr technischen und steilen Trails. Von lockerem Geröll über Almwege, ausgesetzte Steige bis hin zu verblockten Felsstufen ist alles dabei. Nur zweimal mussten wir aus Sicherheitsgründen absteigen, ansonsten wurde gebiked was das Zeug hält.

Uns eröffnete sich das Madritschtal in seiner ganzen rauhen Schönheit. Schon sahen wir die Zufallhütte in der Ferne, doch bis dahin durften noch einige Trailmeter erfahren werden.

Am Schluss kam noch eine anspruchsvolle felsige verblockte Passage, die einiges technisches Können erfordert. Geschickt manövrierten wir unsere Bikes über die Steinblöcke und genossen diese Herausforderung.

Am Schluss? Nein! Denn Schluss war noch lange nicht, auch wenn wir nach einem kurzen und steilen Gegenanstieg schon vor der Zufallhütte standen. Denn die gesamte Abfahrt überspannt von ganz oben bis ins Tal 2400 Höhenmeter, und bis jetzt waren wir erst 850 Hm abgefahren. Zeit für eine Brotzeit war keine, der Teenager war so in Fahrt, dass er gleich weiter wollte.

Wir nahmen nun den Marteller Talweg in Angriff, der uns zuerst zum Zufrittsee bringen sollte und dann noch weiter ins Tal. Der Talweg Nummer 36 forderte noch einmal alles von uns. Steile Felspassagen verlangten ein hohes Geschick und viel Übung. Bei einem Abschnitt hätte mein Sohn fast einen Überschlag hingelegt, da er eine Gegenstufe übersehen hatte, die sein ungefedertes Hinterrad nach oben katapultierte. Dieser fast perfekte Endo ging jedoch glücklicherweise gut aus, er konnte sich ausbalancieren und das Hinterrad wieder zu Boden bringen.

Wir kamen direkt an dem alten verfallenen Hotel Paradiso vorbei, das 1935 als Luxushotel „Albergo Sportivo Valmartello al Paradiso del Cevedale“ von einem Stararchitekten aus Mailand errichtet wurde. Die Blütezeit des Hotel Paradiso dauerte jedoch nicht lange, sie endete mit dem Ausbruch des 2. Weltkrieges. Nach einer vorübergehenden Nutzung durch die deutsche Wehrmacht wurde das Paradiso verkauft und steht seitdem leer. Etwas gespenstisch mutet das Hotel heute an, man fühlt sich ein wenig zurückversetzt in die Zeit, als hier die High Society verkehrte…

Bald hatten wir das Ufer des Zufritt-Stausees im Blick und fuhren auf einer Forststraße am Ostufer entlang bis zur Staumauer. Ein Stück ging es dann auf der Straße hinab, bevor wir kurz vor Waldheim wieder auf den Marteller Talweg auswichen und fortan auf einem flowigen Singletrail anfangs vorbei an Gemüsefeldern, dann durch immer dichter werdenden urwaldähnlichen Bewuchs talwärts rauschten.

Kurz vor dem Schloss Montani bogen wir auf einen Waalweg ein, einem alten Bewässerungssystem der Bauern. Dieses war heute jedoch verfallen, es floss leider kein Wasser mehr in dem Graben neben dem Pfad. Bei der Ruine Obermontani verließen wir den Weg, doch der geplante Track vom Navi endete an einem verschlossenen hohen Zaun. Ich musste also kurzerhand die Route ändern und wir mogelten uns durch eine umzäunte Apfelplantage, bis wir wieder auf einem offiziellen Weg waren.

Nach kurzer Zeit kamen wir schließlich in Latsch an und begaben uns wieder auf die Via Claudia Augusta entlang der Etsch. Es war jetzt bereits 16:00 Uhr, und wir hatten noch knapp 30 km Radweg bis Meran zurückzulegen und mussten einen Zug nach Auer nehmen, um rechtzeitig bei der Unterkunft anzukommen. (Die ursprünglich geplante Pension in Tschars hatte ich bereits storniert.) Mein Sohn legte sich wirklich ins Zeug, doch wir hatten fiesen Gegenwind. Er musste ab und zu eine Pause einlegen, um sein Gesäß zu erholen. Die 30 km bis Meran zogen sich wie Kaugummi. Das Wetter war schwülheiß, wir kämpften und schwitzten und erreichten schließlich kurz nach 18:00 Uhr den Meraner Bahnhof. Schnell waren die Tickets gekauft (insgesamt 5 Tickets, die italienische Bahn ist da fast noch komplizierter als die deutsche) und wir erwischten einen Zug nach Bozen, wo wir noch einmal in Richtung Verona umsteigen mussten.

20 Minuten später waren wir in Auer. Vom Bahnhof Auer waren es noch zwei Kilometer bis zum Hotel. Wir bezogen unser Zimmer, duschten und machten uns gegen 20:00 Uhr auf die Suche nach einem Abendessen. Wir folgten einer Empfehlung der Rezeption und aßen das enttäuschendste Essen der gesamten Tour in irgendeiner seltsamen Absteige. Egal, die Mägen waren halbwegs gefüllt, also gingen wir heim und fielen in die Betten.

Das Höhenprofil des heutigen Tages sieht aus, als ginge es einfach immer nur bergab. Doch davon darf man sich nicht täuschen lassen. Zum Einen ist die Abfahrt vom Madritschjoch wirklich eine kernige Angelegenheit, die eine Menge Kraft kostet. 2400 Höhenmeter in diesem Gelände rollt man nicht gemütlich ab, sondern es ist ein Workout, besonders für einen Hardtail-Fahrer. Dann noch 30 km bei Gegenwind bis Meran radeln, das zehrt zusätzlich an den Kräften. Die Highlights des Tages, wenn nicht sogar des ganzen Alpencross, waren eindeutig:

  • Die Besteigung des Madritschjoch auf 3110 m (ein fantastisches Erlebnis auf dieser Höhe)
  • Die Freeride-Abfahrt durch das Madritschtal und im oberen Bereich des Marteller Talweges (nur für geübte Enduro-Biker)

Das Lowlight des Tages:

  • Das miserable Essen in der Drecks-Absteige „Ristorante Abram“

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Eine Antwort

  1. Frank sagt:

    2019 werde ich endlich wieder über die Alpen fahren. Yea!

    Jetzt bin ich am recherchieren. Dabei bin ich auf euer super Video gestolpert, als Du mit deinem Sohn über die Alpen gefahren seid. Mein Sohn, 12j. hat sich das Video auch angesehen. Ich habe ihn gefragt, ob wir dieselbe Strecke zusammen fahren möchten… bleibt abzuwarten warten was er mir sagt. Ich würde mich sehr freuen. Daumen hoch für das Video.

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