Alpencross 2015 Tag 2

Etappe 2: Fernstein – Imst – Roppen – Ötztal – Sölden – Hochsölden – Ötztaler Gletscher – Vent
Länge: 85 km
Steigung: 2380 (3280) Hm


In der Nacht gab es starken Regen, doch mein Rucksack und meine Schuhe hatten genug Platz im Tarp (der Rucksack musste mir ja als Kopfkissen dienen). Einzig das gute alte Bike hatte die unfreiwillige Wäsche zu erdulden. Auf ein bisschen mehr Rost würde es bei dem Teil ohnehin nicht mehr ankommen.

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Nach dem Einpacken ging es früh um 6:00 weiter auf der zweiten Etappe. Meine Wade fühlte sich wieder einwandfrei an und ich sollte auch auf dem Rest meiner Alpenüberquerung keine Krämpfe mehr bekommen. Das Ziel für heute war zuerst einmal Sölden im Ötztal, alles Weitere würde sich finden. Der Himmel war wolkenverhangen, aber die Temperaturen so angenehm, dass ich meine Regenjacke nach kurzer Zeit wieder ablegte. Ich fuhr vorbei an Nassereith und schwenkte danach wieder auf die Via Claudia Augusta ein. Diese verläuft abseits der Straße durch das Gurgltal nach Tarrenz und Imst. Anstatt jedoch in Tarrenz weiter auf der Via Claudia zu reisen, wählte ich den Forstweg, der am Fuß des Tschirgant weit oberhalb des Inn nach Karres verläuft.

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Diese gut ausgetüftelte Route brachte mich abseits vom Verkehr bis Roppen. Hier gab es wieder eine Gelegenheit, meine Trinkvorräte aufzufüllen. Ich beschränkte mich aber diesmal auf 2 Liter, weil ich wusste, dass ich im Ötztal immer wieder an Brunnen vorbeikommen würde. Dann brauste ich die Straße bergab bis zur Innbrücke, danach folgte ein steiler Anstieg. Ich kannte die Route ja bereits größtenteils von meinem Alpencross 2010, somit hatte ich mich mental schon auf die Wegführung einstellen können. Dennoch habe ich ein paar kleinere Änderungen bzw. Verbesserungen an der Streckenführung vorgenommen, sodass auch dieses Jahr der Abenteuerfaktor nicht zu kurz kam.

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Nach Querung einer Anhöhe kam ich in Sautens an und befand mich im Ötztal. Es war immer noch bedeckt und ab und zu fiel leichter Nieselregen vom Himmel, aber das wenige Nass konnte mich weder aufhalten noch dazu bringen, meine Regensachen auszupacken.

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Um bei Ötz die Befahrung der verkehrsreichen Landstraße zu vermeiden, nahm ich einen weiteren Anstieg in Richtung Piburger See inkauf. Eher versehentlich machte ich einen Abstecher zum Habicher See und den dort befindlichen Eiskeller, der vor etwa 10.000 Jahren durch einen Bergsturz entstand und in dem noch heute kalte Luft zirkuliert. Diesen Umweg musste ich aber mit einer steilen felsigen Tragestrecke bezahlen, um wieder auf den ursprünglichen Weg zurückzukommen. Eine gut befahrbare Forststraße brachte mich schließlich entlang des Habicher Seebachs abseits von Verkehr, Lärm und Gestank bis nach Tumpen.

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Zum Frühstück genehmigte ich mir in einer Gaststätte einen Topf Gulaschsuppe und ein Apfelsaftschorle. Frisch gestärkt trat ich wieder in die Pedale und passierte die Umhausener Engelswand, bei besserem Wetter ein beliebtes Kletterrevier im Ötztal mit 75 Kletterrouten mit verschiedenen Schwierigkeitsgraden.

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Bei weiterhin mäßigen Wetterverhältnissen folgte ich dem Ötztal auf dem kräftezehrenden Weg weiter bergauf. Nach Umhausen wird man zum Glück nur für 500 m auf die Ötztaler Bundesstraße gezwungen, danach zweigt wieder ein Forstweg ab, und man erreicht unbehelligt Längenfeld. Auf diese Weise kämpfte ich mich durch bis nach Sölden. Man kann fast im gesamten Ötztal den Verkehr vermeiden, wenn man ab und zu die offizielle Radroute verlässt und ein paar nervige Steigungen inkauf nimmt. Man darf die Fahrt durch das Ötztal nicht unterschätzen, da man doch eine Menge kleinerer Steigungen hinter sich bringen muss, und das kostet auf Dauer viel Kraft.

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In Sölden steuerte ich direkt die Giggijoch-Seilbahn an, froh darüber, die nächsten 900 Höhenmeter entspannt und ohne Schweißverlust überwinden zu können. Inzwischen blitzte ab und zu sogar die Sonne zwischen den Wolken hervor. Das hatte eine erfrischende Wirkung auf meine Seele. Auf der Fahrt nach Oben fielen mir schon die Baukräne auf, die in Hochsölden in den Himmel ragten. Oben auf 2280 m angekommen verließ ich die Gondel und stand inmitten einer riesigen Baustelle. Hier wurde gerade eifrig daran gearbeitet, den Berg umzugraben, neue Hotels zu bauen und die Liftanlagen für den Touristenansturm im kommenden Winterbetrieb zu optimieren. Schnell wollte ich dem Lärm entkommen und machte ich mich auf den weiteren Weg nach oben. Teils fahrend, teil schiebend erreichte ich eine gute Stunde später die Rotkogelhütte auf 2650 m. Dabei musste ich immer wieder entgegenkommenden Baufahrzeugen Platz machen, die Hochsölden von oben her über die Ötztaler Gletscherstraße anfuhren. Hier oben hat man einen tollen Blick auf den Rettenbachferner und die umliegenden Berge. Ich hatte mein nächstes Ziel bereits klar vor Augen: Den Rettenbachferner.

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Ein Schweizer Wanderer hatte mich beim Aufstieg beobachtet und fragte mich oben auf der Hütte, ob mein Fahrrad eines dieser neuen 8-Kilo-Carbonbikes wäre. Mit einem etwas ungläubigen Blick quittierte er meine Richtigstellung, dass es sich im Gegenteil um ein 13-Kilo-Stahlbike Baujahr 1991 handelte. Halb kopfschüttelnd, halb bewundernd sah er sich mein Gefährt genauer an und wünschte mir gute Fahrt. Für mich ging es erst einmal im rasenden Tempo bergab zur Ötztaler Gletscherstraße, danach im langsamen Tempo wieder bergauf bis zum Rettenbachferner. Teile des Gletschers waren mit einer weißen Plane abgedeckt, um ein weiteres Abschmelzen zu bremsen. Schließlich wollte man hier im Winter ein uneingeschränktes Skivergnügen bieten können.

Ich nahm den Abzweig nach links und erreichte bald den 1730 m langen Rosi-Mittermaier-Tunnel, dem höchstgelegenen Straßentunnel Europas. Ich befestigte die Taschenlampe am Lenker, das Rücklicht am Rucksack und zog meine Regenjacke an, weil ich schon wusste, wie kalt es in dem Tunnel sein würde. Dann ging es hinein in die dunkle Röhre, die nur von schwachen Deckenlampen beleuchtet wurde. Hier drin fährt immer ein etwas beklemmendes Gefühl mit.

Im kleinsten Gang fuhr ich auf der dunklen Straße bergauf, während sich der Schein meiner Taschenlampe wie ein blasser weißer Finger durch die Finsternis tastete. Nur wenige Autos durchquerten während meiner Fahrt den Tunnel. Gut 20 Minuten später hatte ich den Ausgang erreicht und rollte hinunter zum großen Parkplatz der Tiefenbach-Liftanlage. Ich überquerte die Asphaltfläche und hatte dann bis zum Abzweig des Venter Höhenweges wieder Schotter unter den Stollen. Hier ließ ich etwas Luft aus den Reifen, um eine bessere Dämpfung zu erreichen. Ich schätze ich habe den Luftdruck auf ca. 2,5 Bar verringert, konnte das aber natürlich nicht nachprüfen.

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Der Venter Höhenweg ist ein landschaftlich sehr schöner Panoramaweg, der – das muss man klar sagen – zum Mountainbiken eher ungeeignet ist. Auf rund 6 Kilometern zieht sich der Weg in teilweise ausgesetztem Gelände auf etwa 2800 – 2600 m Höhe dahin, bevor er nach Vent abfällt. Wie viel man auf diesem Weg fahren kann, hängt natürlich davon ab, wie geübt der Fahrer im felsigen und steilen Gelände ist. Dennoch wird auch der beste Trailbiker höchstens die Hälfte der Strecke (eher weniger) fahren, weil es immer wieder steile Gegenanstiege, Felsstufen und grobes Geröll gibt, über die das Rad getragen werden muss. Ein durchschnittlicher Biker wird hier fast 90% schieben und tragen. Auch der Abstieg nach Vent ist zu großen Teilen nicht fahrbar, weil sich praktisch im 10-Meter-Abstand tiefe Wasserrinnen in den Weg gegraben haben.

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Weshalb ich diese Strecke trotzdem gerne wähle: Sie ist landschaftlich wundervoll, und die einzige Alternative wäre, die 13 km lange Venter Straße nach oben zu fahren oder das Timmelsjoch als Übergang aus dem Ötztal zu wählen. Und ehrlich, da schiebe und trage ich das Rad lieber zweieinhalb Stunden lang.

Der Höhenweg wird auch regelmäßig von E5-Fernwanderern frequentiert. Das heißt, man wird hier immer wieder Wandersleuten begegnen, von welchen kaum einer einen Mountainbiker in dieser kargen Gegend erwartet hätte. Alle Wanderer, die ich traf reagierten auf mein Unterfangen durchwegs überrascht und auch bewundernd, aber immer freundlich. Das bestätigte wieder einmal meine langjährige Erfahrung: Wenn man sich rücksichtsvoll und höflich begegnet, wird es nur sehr selten Konflikte zwischen Wanderern und Mountainbikern in den Bergen geben. Mittlerweile scheinen Menschen, die Mountainbiker aus Prinzip hassen, doch recht rar geworden zu sein.

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Eigentlich hatte ich nicht vor, am zweiten Tag so weit zu fahren. Doch Hochsölden kam für eine Übernachtung nicht infrage und deshalb hatte ich mich kurzerhand entschlossen, einfach weiter zu radeln. Nach dem Passieren eines ausgesetzten schmalen Wegstückes und des darauf folgenden anstrengenden (und etwas nervigen) Abstieges erreichte ich am Abend ziemlich erschöpft endlich Vent und bestellte im gleichen Restaurant wie 2010 einen Schweinshaxen. Ich ließ mir mit dem Abendessen viel Zeit. Dies war ein Moment des Genusses und der Regeneration, der in vollen Zügen ausgekostet werden musste! Dann füllte ich an einem Brunnen meine Wasserbeutel auf, verließ das Dorf in Richtung Niedertal und suchte mir ein Stückchen weiter oben einen halbwegs ebenen Schlafplatz. Da sich das Wetter wie erwartet wieder stabilisiert hatte, erübrigte sich der Aufbau des Tarps und mir genügten Isomatte und Schlafsack.

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