Alpencross 2016 Tag 10

Etappe 10: San Martino – Tognola – Caoria – Passo 5 Croci – Pontarso – Borgo Valsugana
Länge: 56 km
Gesamtanstieg: 1390 Hm
Gesamtanstieg mit Seilbahn: 2040 Hm
Gesamtabstieg: 3120 Hm


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Nachts war ein heftiges Gewitter mit Blitz und Donner niedergegangen. Wir waren froh, die Nacht nicht draußen verbracht zu haben. Nach ausgedehnten Exzessen am Frühstücksbuffet rollten wir übersatt zur Talstation der Tognola-Seilbahn am südlichen Ortsende von San Martino di Castrozza. Auch hier war die Fahrradmitnahme wie gewohnt unproblematisch. Die Skigebiete hatten sich in vielen Regionen langsam auf Mountainbike-Sportler umgestellt, um das Sommergeschäft etwas aufzubessern. Am Tognola gibt es sogar eine Downhillstrecke, die sich unterhalb der Seilbahn zurück ins Tal windet.

Dies würde übrigens die letzte Seilbahnfahrt auf unserer Reise werden! Als die Gondel 700 Höhenmeter weiter oben am Gipfel des Tognola ankam, hing der Himmel schon voller grauschwarzer Wolken und ein leichtes Donnergrollen war in der Ferne zu hören. Wenige Minuten später beendete die Seilbahn aus Sicherheitsgründen den Betrieb. Der Tognola ist 2120 m hoch, und aufgrund der exponierte Lage und des heranziehenden Gewitters hatte ich kein großes Bedürfnis, hier oben länger als nötig zu verweilen.

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Als wir die Regensachen anzogen, fielen schon die ersten Tropfen schwer vom Himmel. Es wurde Zeit aufzubrechen! Es begann mit einer kurzen Schotterpistenabfahrt bis zur Malga Tognola. Dann zweigte mein vorgeplanter GPS-Track auf einen Trail ab. Uns erwartete nun eine etwa 10 km lange Abfahrt bis Caoria. Leider verlaufen nur die ersten dreieinhalb Kilometer auf einem Singletrail, der Rest ist eine geschotterte Forststraße. Sobald wir den ersten Stollen auf den Trail setzten, zuckten Blitze vom Himmel. Es war fast, als wollte uns der Wettergott davor warnen, hier weiter zu fahren. Die kurz darauf folgenden Donnerschläge machten uns klar, dass das Gewitter nur noch etwa 1 km von uns entfernt war.

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Wir versuchten schnellstmöglich tiefer zu kommen und vor allem in den Wald hinein. Das wurde zusätzlich dadurch erschwert, dass der steinige Boden nass und rutschig vom nun stärker herabfallenden Regen war. Nach kurzer Zeit erreichten wir einen Wald, der Trail wurde noch steiler anspruchsvoller. Unter trockenen Bedingungen wäre es eine wahre Freude gewesen, hier zu fahren!

Plötzlich war Martins Hinterrad platt. Das auch noch! Und bei dem Wetter! Wir versuchten, so gut wie möglich unter einer großen Fichte Schutz zu finden, als mein Reisepartner sein Hinterrad abmontierte und den Mantel abzog. Eine kurze Analyse ergab: Durchschlag. Der Schlauch war bereits mit fünf (!) Flicken repariert worden und hatte dadurch während der Reise schleichend Luft verloren. Der niedrige Luftdruck sorgte dann auf der felsigen Abfahrt folgerichtig für den Snakebite. Das Einbauen des Ersatzschlauches war schnell erledigt. Der alte Schlauch konnte natürlich nicht mehr geflickt werden und war unbrauchbar. Es war nun besonders wichtig, genug Luft ins Hinterrad zu pumpen. Mein Ratschlag „Wenn du denkst es ist genug, pumpe noch 3 Minuten weiter!“ wurde befolgt und wir konnten unsere Abfahrt fortsetzen.

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Der Trail war technisch anspruchsvoll und trotz des miserablen Wetters und den dadurch verschärften Bedingungen hatten wir viel Spaß beim Liniensuchen, Balancieren, Gewichtverlagern, Anlupfen, Abfedern, Wegrutschen und Ausgleichen. Schließlich erreichten wir die Forststraße, dann ging es mit hoher Geschwindigkeit bergab nach Caoria. Der Regen hatte inzwischen etwas nachgelassen und in uns keimte die Hoffnung auf Wetterbesserung. Unten im Tal kam sogar kurz die Sonne durch. Ich zog meine Regensachen aus, um auf der weiteren Fahrt nicht zu sehr zu schwitzen. Immerhin waren die Temperaturen mit über 20°C noch einigermaßen mild. Es war Sonntag und die Dorfbewohner besuchten in schicker Kleidung den Gottesdienst, während wir Caoria in nordwestlicher Richtung verließen. Nach 4 km auf Asphalt zweigten wir links auf eine Forststraße ab, die anfangs mit sanfter Steigung hoch zum Passo Cinque Croci führte. Gelegentliche Regenschauer nötigten mich dann doch wieder in meine wasserdichten Klamotten.

Schon bald nahm nicht nur die Steigung zu, sondern auch der Regen. Während wir uns im Wald die Schotterpiste hochquälten, zuckten Blitze über den Himmel, gefolgt von lauten Donnerschlägen, während ein nicht enden wollender Sturzregen auf uns niederprasselte. Verbissen kämpften wir uns Serpentine um Serpentine nach oben und waren nach einer Stunde völlig durchnässt. Ob nun durch den Regen oder den Schweiß, lässt sich hinterher nicht genau sagen. Ich habe bisher eigentlich sehr gute Erfahrungen mit meiner Vaude-Regenkleidung gemacht und vermute, dass der viele Schweiß einfach nicht schnell genug nach Außen transportiert werden konnte und uns von innen aufgeweicht hat.

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Unterwegs kamen wir an einem Mountainbiker vorbei, der unter einem Felsen kauerte und dort Schutz gesucht hatte. „Ciao!“ rief ich ihm im Vorbeifahren zu und dachte mir, der wird da wahrscheinlich noch länger sitzen. Dank der Anstrengung wurde uns nicht wirklich kalt, die Regenkleidung hielt ja zumindest effektiv den Wind ab. Dennoch war der mit 700 Höhenmetern recht harmlose Uphill eine unangenehme Quälerei. Gegen Mittag erreichten wir schließlich die Malga Val Cion, eine unbewirtschaftete Berghütte kurz vor dem Pass. Hier hatten neben einem anderen Mountainbiker noch ungefähr 50 italienische Pfadfinder Schutz gesucht. All diese Menschen drängten sich in der kleinen dunklen Hütte, die nur von einem flackernden offenen Feuer beleuchtet wurde. Wir kamen mit dem Mountainbiker ins Gespräch, einem Österreicher, der mit seinem Kumpel von Innsbruck losgefahren war und ebenfalls den Gardasee zum Ziel hatte. Jedoch auf einer ganz anderen Route als wir. Bald kam sein Reisebegleiter angeradelt und wir erkannten in ihm den Biker unter dem Felsen.

Wir fanden einen Platz auf den Bänken, die um das Feuer aufgestellt waren und genossen es, dass sich unsere Körper langsam aufwärmten. Die Freude war jedoch von kurzer Dauer, denn eine weitere Pfadfindergruppe erschien, stellte sich laut schreiend vor uns ans Feuer und schirmte effektiv die Wärme ab. Hier galt eben das Recht des Egoistischsten. Ich versuchte noch, ein paar Kleidungsstücke am Feuer zu trocknen, was aber auch nicht richtig gelang, da die Italiener die Sachen einfach beiseite räumten und darauf herumtrampelten, um für ihre eigenen Ausrüstungsgegenstände Platz zu schaffen.

Wir verweilten nicht lange, bedankten uns beim Almöhi für das schütztende Dach und schwangen uns wieder auf die nassen Sättel. Wir hatten den Eindruck, dass es inzwischen nicht mehr ganz so heftig regnete wie vorher, aber das war wohl eher Wunschdenken. Zum Passo 5 Croci waren es noch ungefährt eineinhalb Kilometer. Der Pass liegt auf 2020 m Höhe. Wir waren schnell dort und fuhren auch schnell weiter, weil das Wetter ganz bestimmt nicht auf eine ausgedehnte Pause Lust machte. Wir nahmen jedoch nicht die Forststraße hinunter, sondern einen kleinen Trail, der zuerst über Almwiesen führte und dann über steile Wurzeln und Steine durch den Wald.

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Als uns der Trail 500 Hm weiter unten an einem Parkplatz wieder ausspuckte, sahen wir aus, als hätten wir in einem Schlammloch zusammen mit Schweinen Rock’n’Roll getanzt. An einem Brunnen wuschen wir den gröbsten Dreck von uns und den Rädern, denn der Regen hatte aufgehört und wir wollten uns unbedingt im Tal ein Zimmer suchen. Die Hoffnung war, dass ein halbwegs ansprechendes Äußeres unsere Chancen auf eine brauchbare Unterkunft erhöhen würde. Besonders in manchen Teilen Österreichs hatte ich ja schon die Erfahrung gemacht, dass man gerne auch mal abgewiesen wird.

Die weitere Abfahrt war rasant und größtenteils asphaltiert. Je weiter wir ins Tal kamen, desto wärmer wurde es. Aus grauen Wolken wurde plötzlich dichter Nebel, dann kamen irgendwann ein paar Sonnenstrahlen durch. Als wir unten ankamen, war es sonnig und warm. Es schien als hätten sich die Schlechtwetterwolken in den Bergen festgehangen. Über Pontarso und Telve erreichten wir schließlich auf Nebenstraßen und Radwegen Borgo Valsugana. Martin erhielt dort in einem Café seine obligatorische heiße Schokolade, die bei ihm typischerweise von ein paar Stückchen Kuchen begleitet werden muss. Wir saßen draußen und genossen die Wärme der Sonne auf unserer Haut, die wir nach diesem mit Abstand schlimmsten und unangenehmsten Tag unserer Reise schon so vermisst hatten.

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Borgo ist ein wirklich netter Ort, aber die Unterkünfte dort sind nicht gerade preiswert. Durch einen glücklichen Umstand fanden wir dort eine kleine Wohnung mitten in der Altstadt, die wir für wenig Geld für eine Nacht buchen konnten. Zuerst sprangen wir unter die etwas baufällige Dusche, dann hingen wir all unsere nassen Sachen zum Trocknen in der Wohnung oder am Balkon auf. Da unsere Schuhe ebenfalls völlig durchweicht waren, gingen wir einfach barfuß in die Pizzeria. Die Pizzen waren gut, doch für unseren Kalorienbedarf nicht ausreichend, deshalb bestellten wir danach bei der verblüfften Kellnerin noch einen zweiten Hauptgang hinterher.

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