Alpencross 2015 Tag 3

Etappe 3: Vent – Martin-Busch-Hütte – Niederjoch – Castelbell – Tarscher Alm
Länge: 55 km
Steigung: 2750 Hm


Ich hatte eine sehr gute Nacht gehabt und bei der frischen Höhenluft traumlos geschlafen wie ein Toter. Der Himmel war heute wolkenlos, das Tief war wie erwartet weitergezogen und es würde wieder ein heißer Tag werden. Ideal für die heute geplante Überquerung des Niederjoches (Similaunhütte)!

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Zunächst radelte ich am Kunstwerk „Ötzis Göttin“ vorbei, das von der Bildhauerin Ursula Beiler zusammen mit einer Gruppe Frauen oberhalb von Vent direkt am Weg aufgebaut worden war. Dann biegt der Karrenweg in das Niedertal ein und zieht sich über ca. 7 km nach oben bis zur Martin-Busch-Hütte.

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Während der gesamten Fahrt hat man den schneebedeckten Similaun ständig im Blickfeld. Mit seinen 3600 m überragt er dominant die anderen Gipfel in der Umgegend. Unterwegs wurde ich noch von zwei Senioren auf E-Bikes überholt, deren Ziel ebenfalls die Hütte war, um von dort aus eine Bergtour zu unternehmen. Bis zur Martin-Busch-Hütte kann man auch ohne Motorunterstützung theoretisch komplett fahren. Es sind aber besonders im letzten Viertel ein paar sehr steile Abschnitte dabei, auf denen ich geschoben habe, um nicht gleich zu Beginn meiner Tagesetappe mein ganzes Pulver zu verschießen. Nach eineinhalb Stunden kam ich endlich bei der Martin-Busch-Hütte auf 2500 m an.

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Ich legte eine kurze Pause ein, verzehrte eine Salami und trank eine Menge Wasser, bevor ich den Aufstieg fortsetzte. Ab jetzt musste ich schieben, nur noch kurze Abschnitte konnten zwischendurch gefahren werden. Nach und nach verschwand das letzte Grün der Almwiesen und die Landschaft bestand bald nur noch aus kargem Fels, Eis und Staub.

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Ich ließ mir für den Aufstieg Zeit, weil ich die Landschaft genießen, fotografieren und filmen wollte. Außerdem hatte ich mir überlegt, eventuell heute noch bis zum Tarscher Joch zu kommen. Dadurch wurde ich unterwegs von einer Gruppe Mountainbikern überholt, die wortlos an mir vorbeizogen und sich Mühe gaben, möglichst viele Wegstücke im Sattel zurückzulegen. Ich war dieses Jahr also nicht der einzige verrückte Radfahrer, der sich die Bezwingung des Dreitausenders vorgenommen hatte. Von hier aus sah die Similaunhütte so nah aus, aber ich wusste genau, dass das schwierigste Stück noch vor mir lag.

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Nach Querung einiger Schneefelder erreichte ich den unteren Teil des Niederjochferners, den es zu überqueren galt. Das Betreten des Gletschers ist an dieser Stelle ungefährlich, da er in den letzten Jahren stark abgeschmolzen war und keine Gletscherspalten mehr vorhanden waren. Stattdessen war der Gletscher größtenteils von Geröll, Schutt und Schlamm bedeckt, sodass man nur noch aufgrund des Knackens und Knirschens merkte, dass man eigentlich auf Eis lief. Die letzten 200 Höhenmeter zur Similaunhütte sind sehr steil und felsig, weswegen ich das Fahrrad auf die Schultern lud. Im Gegensatz zu den anderen Bikern empfand ich in diesem Gelände das Tragen als wesentlich angenehmer und ergonomischer als das Schieben. Im ruhigen gleichmäßigen Rhythmus stieg ich auf und erreichte bald mein Ziel: Die Similaunhütte auf 3020 m.

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Obwohl ich für den Aufstieg von der Martin-Busch-Hütte zweieinhalb Stunden gebraucht hatte, fühlte ich mich erstaunlich gut. Deswegen gönnte ich mir hier oben nur eine kurze Pause, bevor ich mir mein rotes Retro-Bike schnappte und mich auf den Weg nach Vernagt machte. Wie ich schon wusste, waren die ersten 300 Höhenmeter steil und ausgesetzt und mussten schiebend bzw. tragend überwunden werden. Dann mündete der felsige Steig in einen steinigen Pfad, der sich in engen Kehren weiter nach unten wand. Hier konnte ich schon Einiges fahren.

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Der ca. 5 km lange Trail ins Tal ist selbst mit einem vollgefederten Bike äußerst schwierig. Mit meinem ungefederten Stahlbock waren höchste Konzentration, Balance und Kraft gefordert, um die vielen felsigen Stufen und das verblockte Gelände zu überwinden. Wenn man keine Federelemente am Bike hat, welche Bodenunebenheiten ausgleichen und Fahrfehler ausbügeln können, muss man sich die Ideallinie am Trail suchen und entsprechend vorausschauend fahren. Ein sehr gutes Training für Fahrtechnik und Konzentration! Ich musste den Lenker über die ganze Strecke fest greifen, damit er mir nicht bei all den harten Stößen aus der Hand gerissen würde, und damit ich das Vorderrad immer wieder hochreißen konnte, um es über Felsblöcke zu lupfen. Auch ein festes Zupacken bei den Cantilever-Bremsen war notwendig, da die Bremswirkung doch merklich schlechter ist als bei modernen Scheibenbremsen.

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Die Abfahrt kostete vollen Körpereinsatz, ich musste fast konstant im Stehen fahren. Ein intensiver Workout bis hinunter zum türkisgrünen Stausee! Für die Weiterfahrt durch das Schnalstal wählte ich meinen bewährten Wanderweg abseits der Straße. Nach Querung der Staumauer ging es gleich links auf einem schmalen Pfad in den Wald hinein. Der Weg zieht sich auf diese Weise mit ein paar kurzen Gegenanstiegen am Hang entlang ins Tal, ohne dass man sich dem Verkehr aussetzen muss. Leider war der Weg nach wenigen Kilomentern wegen eines Murenabganges gesperrt, sodass ich doch runter auf die Straße musste. Den Wiedereinstieg unterhalb von Neurateis habe ich dann dummerweise nicht mehr gefunden bzw. verpasst. Also war ich weiter auf die Straße gezwungen und bin mit teilweise über 80 km/h hinunter nach Staben an der Etsch gerast. Am Schluss führt die Straße durch ein 1 km langes Tunnelstück, für welches man unbedingt ein Rücklicht montiert haben sollte.

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Ich war nun viel schneller als erwartet im Vinschgau angekommen. Denn eigentlich hätte mich meine Route über Waldpfade bis zum Schloss Juval bringen sollen, was mehr Zeit und Energie gekostet hätte. Stattdessen folgte ich dem Etschtal-Radweg (Via Claudia Augusta) flussaufwärts bis kurz vor Kastelbell. Währenddessen bemerkte ich bei einer Pause, als ich den Zustand des Rades überprüfte, dass am Hinterrad einige Speichen sehr locker waren. Durch die ruppigen Abfahrten hatten sich diese wohl gelöst und waren schon fast am Herausfallen. Ich zog die Speichen mit meinem Multitool nach und zentrierte das Hinterrad neu, sodass alles wieder tiptop war. Ein Glück, dass ich es bemerkt hatte! Dann ging es bei brütender Hitze (knapp 40 °C) auf Nebenstraßen durch langweilige Apfelplantagen permanent bergauf bis Tarsch. Der Schweiß floss in Strömen, ich sah aus als wäre ich gerade aus der Badewanne gestiegen. Ich fühlte mich ziemlich erschöpft und legte eine Pause in einem kleinen Dorf ein, wo ich meinen Kopf in den kühlen Trinkwasserbrunnen steckte.

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Das weckte meine Lebensgeister wieder und ich nahm den langen, zähen, frustrierenden Anstieg zur Tarscher Alm in Angriff. Der erste Teil bis zur Talstation des Sesselliftes verlief auf Asphalt und ging noch ganz gut. Eigentlich wollte ich den Lift nehmen, doch ich hatte die letzte Bergfahrt knapp verpasst. Also quälte ich mich die lange, nicht enden wollende Forststraße bergauf, wobei ich vor Erschöpfung oft nicht mehr in der Lage war zu fahren und schieben musste. Ein Müsliriegel, den ich mit Wasser runterspülte, gab mir wieder etwas Kraft. Ich hatte überhaupt keinen Appetit doch mir war klar, dass ich Energie zuführen musste.

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Das Glücksgefühl, als ich die Tarscher Alm endlich vor mir sah, lässt sich kaum beschreiben. Mit meinen letzten Kräften zerrte ich das Fahrrad zur Hütte, ließ es zu Boden fallen und wusste: Heute gehe ich keinen Meter weiter! In der untergehenden Abendsonne verschlang ich eine riesige Portion Hüttenmakkaroni, eine Tasse frischer Buttermilch aus eigener Produktion und hinterher noch ein Radler. Ich bekam einen Platz im Matratzenlager, was für mich diesmal in Ordnung war, weil ich der einzige Gast dort war. Somit war auch sicher gestellt, dass ich durch keinen Schnarcher um den Schlaf gebracht werden würde.

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Ich duschte erst einmal die Schweißkrusten von meinem Körper und aus meinem Fahrradshirt. Dann entschied ich mich für das Stockbett mit Fensterblick, sah noch der Sonne beim Untergehen zu und sank dann sofort in einen tiefen Schlaf.

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